Herzensach - Roman
gefährlich?
»So eine Art Sicherheitsverwahrung. Es kann also nicht viel passieren.«
»Und du irrst dich wirklich nicht?« Der Arzt dachte daran, den Pfarrer loszuwerden. Der Freund hatte ebenso wie viele andere seiner Patienten völlig den Boden unter den Füßen verloren. Keine normalen Reaktionen mehr. (Kein Puls mehr! Wir verlieren ihn. Doktor!) Und je länger er blieb, um so schwieriger war es, Heidelinde eine belanglose Geschichte aufzutischen. »Dann solltest du vielleicht zu Jan gehen.«
»Genau das werde ich jetzt tun. Dich bitte ich nur, die Augen offenzuhalten, einfach bereit zu sein.« Dann ergänzte er: »Wir müssen zusammenhalten.«
Der Arzt nickte. Sein Freund machte ihm wirklich angst. Und das war neu. Er brachte ihn zur Tür und versuchte ihm nicht zu nahe zu kommen. (Schwester, bringen Sie den Patienten auf die Isolierstation.) Entsetzen ergriff ihn, vielleicht wurden die Menschen im Dorf von einem geheimnisvollen Virus heimgesucht. Ein Virus, das sie alle verrückt machte. Gleich darauf beruhigte er sich selbst damit, daß eine solche Idee eines wissenschaftlich arbeitenden Arztes nicht würdig sei. Überhaupt, wovor sollte er Angst haben? Außerdem war da noch seine Frau. (Heide, bitte übernimm die Nebenwirkungen!) Er straffte sich, gab Pedus so kräftig die Hand, daß die Finger knackten. Er wartete an der Tür, bis der Pfarrer auf der Straße war. Er würde Stärke beweisen. Langsam hob er die rechte Hand mit dem Schweiß des Pastors und leckte sie ab. (Ein Arzt mußte so etwas manchmal tun!) Ein Virus! Er lächelte über seine Ängste und begann zu zittern.
Rudolf Pedus stand unschlüssig vor dem Haus des Arztes. Der Freund war kein zuverlässiger Helfer, aber das hatte er vorher gewußt. Doch in dieser Situation galt es, sich der Solidarität aller zu versichern. Er würde jetzt gleich zum Gutsherrn, anschließend zum Förster und zuletzt zu Wilhelm Weber gehen. Er überlegte, ob er zuvor dem Studenten in seinem Gefängnis etwas zu essen und eine Wolldecke bringen sollte. Dann mußte er ihm erklären, worum es ging. Während er noch darüber nachdachte, hatten zwei Männer kurz nacheinander den Gasthof auf der gegenüberliegenden Straßenseite betreten. Diese Beobachtung machte es dringlicher, mit dem Gutsherrn zu sprechen. Diesmal würde er ihn überzeugen können. Vor drei Jahren war sein Versuch gescheitert. Jan, damals erst seit zwei Jahren Chef des Gutes, hatte sich nicht entschließen können, etwas zu unternehmen. Doch seit dieser Zeit hatte er ihm an mehreren Abenden im Gutshaus seine Theorien erläutern können. Zwar hatten Jan, Bernhard Andree und Johann Franke mit nachsichtigem Lächeln angedeutet, daß sie nicht bereit waren, alles so ernst zu nehmen, wie er es sich wünschte, doch in friedlichen Zeiten mißachtet man gern die ersten Boten des Krieges. Diesmal mußte Jan auf ihn hören. Die Zeichen waren eindeutig.
Der Pastor nahm den Feldweg, stieg über einen Zaun und ging quer über Weiden und einen Acker den Lichtern des Gutshauses entgegen. Morgen war Sonntag. Wenn es bis dahin nicht zu spät war, wollte er noch in der Nacht seine Predigt ändern. Vielleicht gelang es ihm diesmal, der Gemeinde ins Gewissen zu reden. Er würde es versuchen, obwohl er zweifelte, daß der alle drei Jahre sich wiederholende und in einer Gewalttat gipfelnde Prozeß ins Bewußtsein der einfachen Dörfler drang. Sie wußten nicht, was sie taten.
Er stolperte in der Dunkelheit und fiel auf die Erde. Er raffte sich auf, tastete nach seinen Aufzeichnungen in der Seitentasche seines Jacketts. Im Gutshaus erloschen einige Lichter. Er mußte sich beeilen. Für einen unangemeldeten Besuch war es schon spät genug. Aber der Gutsherr besaß die größte Autorität, allein er hatte die Macht, auf die Dorfbewohner besänftigend einzuwirken. Oft hatte der Pastor beobachten können, wie alle Jan ohne Widerspruch gehorchten und nicht einmal den Ansatz zur Diskussion machten. Dabei befahl der Gutsherr nie, sondern kleidete seine Wünsche in diplomatische Worte.
Rudolf Pedus ließ die Klingel beiseite und schlug den Klopfer hart gegen die Tür des Gutshauses. Er schien ihm seinem Anliegen angemessener. Manuela Kotschik öffnete ihm, und ihre Augen wanderten erstaunt auf seiner Kleidung von oben nach unten. Der Pfarrer sah an sich herab und bemerkte erst jetzt, daß seine Jacke und Hose noch voller Erde waren. Widerwillig und mit gerümpfter Nase ließ die Haushälterin ihn in die Halle. Sorgenvoll
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