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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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bändigende Sehnsucht nach Trivial. Ihre Hand in seinem Fell.

46
    Er fühlte sich fast schwerelos und von einem unbändigen Lachreiz erfüllt, doch er konnte sich nicht rühren, nicht einmal den Mund verziehen oder die Augen bewegen. Es war gut so. Ein wirklich angenehmer Zustand.
    Sein Blickwinkel blieb immer gleich. Das war beruhigend. Seine Augen zeigten ihm einen Ausschnitt des leeren Labors: die Metallschränke, die Kühltruhen, den Metalltisch mit den Ablaufrinnen in der Mitte des Raumes. Ein schönes Bild. Die Ränder zerflossen etwas. Auch gut.
    Der Arzt war gegangen. Das hatte ihn traurig gemacht. Das mußte jeden Menschen traurig machen. Jakob hätte nicht sagen können, wie lange das her war. Er besaß kein Zeitgefühl. Das war in Ordnung. Das brauchte er nicht. Und alle unwichtigen Gedanken flohen. Er hätte sie nicht einfangen können. Sie waren wie Staubpartikel in einem Sonnenstrahl. Fanden sich irgendwann unter den Betten ein. Als flauschige Kugeln. Lustig. Überflüssig.
    Jetzt fiel ihm wieder ein, was der Arzt gesagt hatte: Er müsse sich oben abmelden. Wo oben? Bei Gott? Wer war da oben? Das war komisch. Sehr komisch. Kitzelig. Schade, es gelang ihm nicht zu lachen.
    Ein anderes Gefühl. Welches? Er konnte sich freuen. Er freute sich auf die Arbeit im Labor. Genau, er erinnerte sich, sie wollten gemeinsam im Labor arbeiten. Aber jetzt würde er erst einmal eine Pause machen. Sein Gehirn verlangte nach einer Pause. Richtig prima, daß er es einfach so abschalten konnte.
    Bernhard Andree schüttelte ihn an der Schulter, schaltete ihn wieder ein. Dieser Mann mit den schönen großen Ohren war ein wunderbarer Mensch und sicher auch ein ganz ausgezeichneter Arzt. Er hätte ihm gern geholfen, aber soviel Beweglichkeit besaß er nicht. So mußte der Arzt alles allein machen. Ihm das Hemd aufknöpfen, die Arme herausziehen, die Hose aufmachen und die Beine herausheben. Die kaputte Hose brauchte er sowieso nicht mehr. Es war wirklich freundlich von dem Doktor, eine kostenlose Untersuchung durchzuführen. Ob es ihm gutgehe? Aber natürlich. Überrascht bemerkte Jakob, daß er nicken und seine Augen wieder bewegen konnte. Jetzt gelang es ihm sogar, ganz gedehnt ja zu sagen. Dieser Arzt war wirklich wunderbar. Und ausgerechnet ihm, Jakob Finn, sollte die Ehre widerfahren, diesem Wissenschaftler für seine Experimente zu dienen. Jakob genoß es, den Arzt zu beobachten, wollte ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen und versuchte genau zuzuhören, um sich richtig zu verhalten. Doch nicht immer begriff er sofort, was der Doktor wollte. Er schämte sich, denn es war so einfach. Der Arzt verlangte wirklich nicht viel von ihm. Er bedauerte es, als die Untersuchung zu Ende war und Doktor Andree sich von ihm abwandte. Einen Augenblick fürchtete er, ihn erzürnt zu haben. Er wollte ein gutes Versuchsobjekt sein. Aber der Doktor öffnete nur eine Kühltruhe und nahm ein Stück Fleisch heraus. Er wollte ihm eines seiner Experimente zeigen. Jakob zwang sich, ganz genau zuzuhören und zuzusehen, damit er später, wenn er an die Reihe kam, nichts falsch machte.
    »Ja, ja«, sagte er jetzt schon flüssiger.
    »Verstehen Sie mich? Es ist wichtig.«
    »Ja, ja.«
    »Es ist sehr wichtig, daß Sie alles genau verstehen und sich wohl fühlen.«
    »Ja, ja.«
    »Damit Sie auch einverstanden sind.«
    »Ja, ja.«
    »Früher hatte ich einen Hund. Er war zu klein. Sie verstehen, daß ich ihm die Stimmbänder durchtrennen mußte.«
    »Ja, ja.«
    »Ich glaube, ich habe ihn ungefähr zwanzigmal operiert. Aber es war natürlich nur ein kleines Tier. Er hat nicht soviel ausgehalten, deshalb hole ich mir das Fleisch aus der Fabrik von Wilhelm Weber. Hier können Sie genau sehen, wie ich vorgehe.«
    »Ja, ja.«
    »Ich mache einen Schnitt, bis alle Haut- und Fettschichten durchtrennt sind, und anschließend nähe ich es wieder zusammen. Sehen Sie sich diese Naht an!«
    »Ja, ja.«
    »Ich habe das selbst entwickelt. Ich produziere die Fäden selbst. Es ist mein Geheimnis, woraus sie bestehen. Und jetzt schauen Sie auf die Nähtechnik. Ist das nicht erstaunlich?«
    »Ja, ja.« Es war wunderbar.
    »Noch begreifen es die Chirurgen nicht. Sie wollen meine Technik nicht. Ich habe an die Fachzeitschriften geschrieben. Ich habe mich bei allen möglichen Kongressen als Vortragsredner angemeldet. Aber ...«
    »Ja, ja.« Jakob war begeistert. Es war eine perfekte, verblüffende Arbeit. Es drängte ihn, sich selbst zur Verfügung zu stellen. Doch der Arzt

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