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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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das der Kirchenbesucher.) Der Aberglaube besaß in Herzensach eine feste Burg – trotzdem oder deshalb betrachteten viele ältere Gemeindemitglieder den Pastor als Heiligen, andere fürchteten ihn wegen seiner Vorfahren. Doch bleiben wir bei den Heiligen. Sieht man sich die Geschichte dieser Männer an, so ist das felsenfeste Einstehen für den Glauben, seine missionarische Verbreitung fast immer mit geringem weltlichem Glück gekoppelt. Rudolf Pedus, wenngleich reformierter Pfarrer, hatte Vergleichbares vorzuweisen. Seiner Frau Inge war vor zwei Jahren eröffnet worden, unheilbar krank zu sein. Krebs. Ihre Lebenszeit sei nur noch kurz. Mal war von drei Tagen die Rede, dann wieder von drei Monaten. Sie klagte nicht, verweigerte zum Teil schmerzstillende Mittel und versorgte weiter den Haushalt, auch wenn ihre Krankheit sie immer wieder für Stunden ins Bett zwang. Sie ließ nicht zu, daß ihr Mann sie pflegte, sondern schickte ihn hinaus zu seiner Maschine, denn ihr Wunsch war es, die Fertigstellung des Apparates noch mitzuerleben.
    Rudolf Pedus kannte jedes Gemeindemitglied, und er kannte alle mit Namen. Diesen jungen Mann kannte er nicht. Und daß sich ein Fremder ins nicht ausgeschilderte Herzensach verirrte, war ungewöhnlich.
    »Sie waren noch nie in Herzensach«, sagte er, während er Jakob Finn neugierig musterte, und legte den Zeigefinger an die Nase. »Irgend etwas an Ihrem Ausdruck, Ihrer Kleidung läßt mich vermuten, Sie kommen nicht aus Weinstein, sondern haben einen weiten Weg hinter sich. Doch niemand, der zu mir kommt, muß seinen Namen und seine Herkunft nennen.« Er hob seine Hände, als wolle er ihn segnen.
    Die Worte erinnerten Jakob an Sherlock Holmes. Er erwartete, daß der Pastor ihm anhand der Flecken auf seinem Hemd seinen Namen und seine Herkunft auf den Kopf zusagte. Er war noch immer verblüfft über das plötzliche Erscheinen des Pfarrers. Sie standen sich deshalb etwas zu lange wortlos gegenüber und lächelten einander an. Schließlich besann sich Jakob, stellte sich vor, beschrieb seinen Unfall und erklärte damit sein Verweilen in Herzensach.
    »Diese Maschine«, fuhr er zögernd fort und wies in den Brunnen, »was ist das für ein Ding?«
    Der Pastor grinste. »Wahrscheinlich wissen Sie schon, daß ich der verrückte Pedus bin und einen Apparat baue, um Gottes Stimme hörbar zu machen.«
    »So ähnlich.«
    »Jedes Ding auf der Erde hat drei Bedeutungen und eine unbekannte vierte. Sehen Sie sich den Baum an. Er kann Lebensretter sein, wenn Sie ihn auf der Flucht vor einem wilden Tier erklettern. Er kann ein Dach sein, das Schatten spendet oder vor Regen schützt, oder Sie können aus seinem Holz ein solches Dach bauen. Und drittens kann er Sie mit seinen Früchten ernähren.«
    »Und die vierte Bedeutung?«
    »Die kennt nur Gott.«
    »Und Ihre Maschine hat diese Bedeutung auch? Die vierte, meine ich.«
    »Ich möchte es annehmen. Warum sollte sie eine Ausnahme sein?«
    »Dann bin ich gespannt, von diesen Bedeutungen, die – wie ich annehme – mit ihren Funktionen gleichzusetzen sind, zu erfahren.«
    »Vorsicht«, sagte der Pastor, und sein Lächeln bekam einen diabolischen Zug, »so manche Bedeutung erweist sich als teuflisch.«
    »Mit einem Mann Gottes an der Seite sollte mir nicht viel geschehen können.«
    In diesem Moment kam Trivial von einem kleinen Streifzug entlang der Kirchenmauer und einer kurzen Entleerung seiner Blase zurück. Er setzte sich zu Jakob Finns Füßen.
    »Und mit einem Höllenhund«, ergänzte Pastor Pedus.
    Rudolf Pedus erklärte dem Studenten die Konstruktion des Brunnens, den bereits Johann Jacob van Grunten zur Heilwasserförderung hatte graben und bohren lassen. Der obere Durchmesser von drei Metern war notwendig gewesen, um in die gewaltige Tiefe vorzustoßen. Zusätzlich hatten die Erbauer von der Straße aus einen schräg nach unten, in dreißig Meter Tiefe führenden Tunnel gegraben, um Erde und Felsgestein aus der Brunnenröhre leichter abtransportieren und Baumaterial hineinschaffen zu können. Der Schacht selbst war weitaus tiefer, denn Johann Jacob van Grunten wollte auf die mineralhaltige Wasserschicht unterhalb des Schiefergesteins stoßen. So tief sei die Röhre, behauptete der Pastor, daß man durch die Abschirmung des Sonnenlichtes von ihrem Grund aus auch am Tage die Sterne am Himmel sehe. Dies sei im übrigen einer der Anlässe für die Idee mit der Maschine gewesen. Der Brunnenschacht als Mittler zwischen Himmel und Hölle, da er die

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