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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Geschäft aufnehmen, aber wenn die Dame nicht will ...«
    Katharina stieß verächtlich die Luft aus.
    Der Tischlermeister polterte die Treppe hinunter.
    »Willst du keinen Nachtisch?« rief seine Frau. »Karamelpudding!« Sie wußte, daß er brüllen würde: Mir ist der Appetit vergangen!
    »Mir ist der Appetit vergangen«, brüllte er.
    Petra Timber setzte sich neben ihre Tochter und versuchte ihr in die Augen zu sehen.
    »Ich weiß ja, daß er ein alter Starrkopf ist, aber du mußt doch auch einmal an deine Zukunft denken.«
    Sie legte einen Arm um ihre Pflegetochter. »Was willst du denn später machen?« Sie hätte gern ein bißchen geweint, über ihren Mann, über Katharina und über ihr Leben oder über irgend etwas anderes.
    Katharina schüttelte ihre Mutter ab und stand auf. »Einen Tischler heiraten? So einen?« Ihr Daumen wippte nach unten. Luft! Sie ging auf ihr Zimmer, um sich für ihren Streifzug umzuziehen. Sie wußte, es war zwecklos, ihrer Pflegemutter die Wahrheit über Thomas Timber zu erzählen, daß er jedem Rockzipfel hinterherschaute, in der Werkstatt zotige Witze riß und mit dummen Sprüchen seine Verachtung für Frauen zum Ausdruck brachte. Sie würde bloß weinen.
    Petra Timber blieb eine Weile traurig am Tisch sitzen, schließlich erhob sie sich schwerfällig, betrachtete ihren Rock und strich darüber. »Ich weiß gar nicht, was sie hat«, murmelte sie. »Ist doch schick.«
    »Ein paar Kilo zuviel«, sagte eine schnarrende Stimme.
    »Otto!« Entgeistert drehte sie sich zu ihrem Schwiegervater um, der sich am Türrahmen festhielt. »Wie bist du heruntergekommen?«
    Er salutierte andeutungsweise und kam dabei gefährlich ins Schwanken. »Wenn es gilt, unseren Führer zu begrüßen!«
    Petra Timber sprang auf und hielt ihn fest.
    »Ich muß die Orden und Ausweise ausgraben, laß mich.« Er wehrte sich gegen ihren Griff. »Ich bin der einzige, der weiß, wo sie liegen.«
    Sie faßte ihn um die Schulter und stieg langsam mit ihm die Treppe hinauf. »Ich mach das schon«, beruhigte sie ihn.
    »Die Fahne, Kind, hast du die Fahne auf dem Gutshaus gesehen? Er ruft uns zu den Waffen.«
    »Ja, ja.«
    Er begann plötzlich zu weinen. »Das Signal. Es ist das Signal. Du mußt es den anderen sagen.«
    »Alles wird gut.«
    Sie brachte ihn ins Dachgeschoß und drückte ihn in seinen Sessel. Er schloß die Augen, schniefte ein paarmal und schlief ein. Sie ging zum Fenster und sah hinüber zum Gutshaus. Alles war wie immer. Auf dem Flachdach des linken Anbaus gab es einen Mast, aber eine Fahne hatte dort noch nie gehangen. Sie wollte sich schon abwenden, als sie eine Bewegung wahrnahm. Jemand hockte auf dem Dach mit einem Fernrohr vor den Augen. Jetzt erhob sich die Person kurz, wechselte den Platz und sah hinüber zum Lichter Moor.
    Katharina wanderte zügig aus dem Dorf hinaus, überquerte die südliche Brücke und bog dahinter zum Lichter Moor ab. Trivial war ihr bis zur Herzensach gefolgt, hatte aber ihre düstere Stimmung bemerkt und kehrtgemacht, da sie offensichtlich seines Trostes nicht bedurfte. Katharina teilte die Zweige der niedrigen Büsche, bis sie an das Ufer des Sees kam. Einen Augenblick setzte sie sich, beobachtete mit finsterer Miene die dichtbewachsene Uferlandschaft, dann riß sie sich Hemd und Hose vom Körper, sprang in das kalte Wasser und tauchte unter. Sie kam wieder hoch, watete zum Ufer. Die Wut auf ihren Pflegevater war geblieben. In letzter Zeit hatte er ihr oft zugesetzt und verlangt, sie solle nach und nach einen Teil seiner Aufgaben übernehmen.
    Katharina wußte zwar nicht, was sie wollte, aber die Tischlerei wollte sie nicht. Und schon gar nicht wollte sie ihrem Pflegevater die Gelegenheit verschaffen, sich mehr seinem Hobby widmen zu können. Sie grinste bei dem Gedanken an seine Hütte, die hier ganz in der Nähe stand. Eine Idee nahm Gestalt an. Vielleicht konnte sie etwas zerstören. Sie versuchte sich ihre Sachen eilig über den noch nassen Körper zu ziehen. Der Stoff klebte auf der Haut. Es ging nicht. Sie fluchte, rieb sich mit ihrem Hemd und der Hose trocken und zog die Sachen dann, zerknittert und naß wie sie waren, an.
    Die Hütte war groß. Bestimmt besaß sie zwei Räume oder mehr. Katharina hatte sie nie von innen gesehen. Das Hobby des Tischlers interessierte sie nicht. Außerdem hatte sich Thomas Timber jeden Besuch verbeten. Die Hütte stand auf einem kleinen aufgeschütteten Hügel, als hätten die Erbauer sie vor Hochwasser schützen wollen. Doch der

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