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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Pegel der Herzensach stieg selbst im Frühjahr kaum einmal um mehr als einen halben Meter, und hier am See verteilte sich das Wasser, so daß der Höhenunterschied noch geringer war. Die Aufschüttung und das im großen Umkreis von Gebüsch freigeschlagene Gelände wirkten eher, als wären sie das Produkt einer Verteidigungsmaßnahme. Jeder, der sich näherte, konnte rechtzeitig gesehen werden. Katharina sammelte Steine und Äste und versuchte damit die Tür der Hütte oder einen der Fensterläden zu öffnen. Doch alles war stabiler, als sie gedacht hatte. Die Tür zu öffnen gab sie schnell auf. Das Holz war nur Dekoration, darunter bestand die Tür aus einer Metallplatte mit drei Sicherheitsschlössern. An einer Ritze zwischen zwei Fensterläden setzte sie einen Ast an, stemmte sich dagegen. Der Laden bewegte sich kaum. Schließlich schlug sie ohne Rücksicht auf den Lärm, den sie verursachte, mit einem großen Stein dagegen, bis eine der Latten brach. Der Laden ließ sich zwar nicht öffnen, aber sie sah durch die Bruchstelle das dahinterliegende eiserne Gitter. Die Hütte war eine Festung. Wahrscheinlich würde es nicht einmal gelingen, sie in Brand zu setzen. Überall war Metall unter dem Holz.
    Sie ging zum Seeufer hinunter, kam mit einer Handvoll sandigem Schlamm zurück und versuchte ihn in die Sicherheitsschlösser der Tür zu drücken, doch ihre Wut hatte sich gelegt. Sie ließ die Hände herabhängen, wischte sie an der Hose ab und begann über sich selbst zu lachen, über ihre zerknitterte, schmutzige Kleidung.
    Sie marschierte zurück, überquerte die Straße und wanderte an einem Weizenfeld entlang hinauf zum Wald. Ihre Stimmung hatte sich gebessert. Sie lachte über ein Kaninchen. Es hatte sie nicht gewittert und drückte sich nun gelähmt vor Angst an den Boden. Sie klatschte in die Hände, und das Tier sprang auf, überschlug sich fast und rannte in das Feld hinein. Es schien ihr jetzt absurd, so viel Wind um einen so lächerlichen Mann wie Thomas Timber gemacht zu haben. Es lohnte sich nicht einmal, sich in Gedanken mit ihm zu beschäftigen.
    Katharina kannte die Geräusche des Waldes. Sie blieb stehen und lauschte. Die Vögel hatten ihre Warnrufe eingestellt. Es konnte nur bedeuten, daß noch jemand im Wald war, wahrscheinlich auf demselben Weg. Doch als sich die Schneise vor ihr öffnete, war niemand zu sehen. Sie bog zu einer Lichtung ab, auf der sie sich oft niederließ, um unter einem Baum zu schlafen. Sie sah ihn nicht, aber sie wußte, daß bereits jemand da war. Sie hatte keine Angst, blieb stehen und betrachtete Baum für Baum am Rand der Lichtung. Dann sah sie ihn. Er saß schlecht verborgen auf dem untersten Ast einer großen Eiche und ließ die Beine baumeln. Sie ging näher.
    »Hallo«, sagte er.
    Katharina erkannte ihn. Es war sein Wald.
    »Als Kind«, sagte er, »bin ich oft hierhergekommen und auf diesen Baum geklettert. Ich wollte unbedingt wissen, ob ich es noch kann. Und vor allem, ob sich das Gefühl von damals einstellt.«
    Katharina stand jetzt genau unter ihm. »Und ist es so?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich muß mich damit abfinden, daß ich erwachsen bin. Nicht gut.«
    Jan machte sich bereit herabzuspringen, und Katharina trat zur Seite. Er löste sich von dem Ast, kam mit einem kleinen Schmerzenslaut auf und setzte sich sofort.
    »Haben Sie sich verletzt?«
    »Nein, ich bin nur ein bißchen mit dem Fuß umgeknickt.« Er massierte das Gelenk, dann blickte er sie an. »Früher haben wir du zueinander gesagt. Ich kann mich gut an unsere gemeinsamen Waldspaziergänge erinnern.«
    »Da war ich acht oder zehn Jahre alt.«
    »Was sollte sich geändert haben?« Er bot ihr mit einer Geste an, sich neben ihn zu setzen.
    »Alles«, sagte sie, sie blieb stehen.
    »Weißt du, was das Schöne an unseren Spaziergängen war? Damals hast du mir vertraut, und ich war ganz stolz auf dein Vertrauen. Es war so vorbehaltlos. Ich nahm mir vor, dich niemals zu enttäuschen. Mehr noch. Ich nahm mir damals vor, wie ein großer Bruder auf dich zu achten.«
    »Ich brauche niemanden, der auf mich aufpaßt.«
    »Ja, das habe ich bemerkt, und ich finde es gut. Es gefällt mir.«
    Er stützte sich auf die Hände und zog sich rückwärts an den Stamm des Baumes heran, um sich dagegenzulehnen. Sie erinnerte sich an die Streifzüge mit ihm, und ein Lied fiel ihr ein:
    Den Bauern gehört die Erde
    Den Piraten gehören die Meere
    Den Räubern gehören die Wälder
    Dem Kaufmann gehören die Gelder
    Bei

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