Herzensbrecher: Roman (German Edition)
zu ihr.
»Wie fühlst du dich, Jason?« Maxine nickte der Schwester zu, woraufhin diese den Raum verließ.
Jason antwortete nicht und starrte vor sich hin. Auf eine Überdosis Tabletten folgte zumeist eine tiefe Depression. Und glücklich war Jason schon vorher nicht gewesen. Seine Mutter sah nicht viel besser aus. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und vermutlich kaum geschlafen. Soeben war es ihr gelungen, ihrem Sohn das Versprechen abzuringen, nie wieder eine solche Dummheit anzustellen. Jason hatte zögernd genickt.
»Er sagt, dass er es nicht wieder tun wird«, sagte Helen Wexler, während Maxine dem Jungen in die Augen sah. Was sie dort entdeckte, beunruhigte sie.
»Hoffentlich stimmt das auch.« Maxine war nicht überzeugt.
»Darf ich nach Hause gehen?«, fragte Jason mit matter Stimme. Es gefiel ihm nicht, dass die ganze Zeit eine Krankenschwester bei ihm im Zimmer war. Sie hatte ihm erklärt, dass sie ihn nicht allein lassen dürfe, und Jason fühlte sich wie in einem Gefängnis.
»Darüber müssen wir reden«, entgegnete Maxine und stellte sich ans Fußende des Bettes. In dem rosa Sweatshirt und der Jeans wirkte sie sehr jung. »Ich halte das für keine gute Idee«, sagte sie ehrlich. Sie belog ihre Patienten nicht. Es war wichtig, ihnen die Wahrheit zu sagen. Nur so lernten sie, ihr zu vertrauen. »Du hast gestern Abend eine Menge Tabletten geschluckt, Jason. Sehr viele. Zu viele. Das war kein Spaß mehr.« Sie sah ihn an. Er nickte und wich ihrem Blick aus. Im hellen Tageslicht war ihm der Vorfall peinlich.
»Ich hatte etwas getrunken und wusste nicht, was ich tat«, versuchte er, die Sache herunterzuspielen.
»Ich glaube, dass du es ganz genau wusstest«, entgegnete Maxine mit ruhiger Stimme. »Du hast viel mehr Tabletten geschluckt als letztes Mal. Du solltest eine Auszeit nehmen, darüber nachdenken und daran arbeiten. Vielleicht an einer Gruppentherapie teilnehmen. Es ist wichtig, dass wir uns darum kümmern. Ich kann mir vorstellen, wie schwer es gerade jetzt für dich ist, kurz vor den Feiertagen, nachdem du dieses Jahr deinen Dad verloren hast.« Maxine hatte die Tragödie beim Namen genannt, und die Mutter des Jungen beobachtete sie ängstlich. Sie litt genauso wie ihr Sohn, aber sie fühlte sich nicht schuldig am Tod ihres Mannes. Das Schuldgefühl brachte bei Jason die Waagschale in eine bedrohliche Schieflage. »Ich möchte dich an einen Ort schicken, an dem ich schon öfter mit Jugendlichen gearbeitet habe. Auch andere junge Leute in deinem Alter werden dort betreut. Deine Mom darf dich jeden Tag besuchen. Wir müssen das, was mit dir geschieht, in den Griff bekommen. Es wäre nicht gut, dich jetzt nach Hause zu schicken.«
»Für wie lange?«, fragte Jason und versuchte, seiner Stimme einen unbeteiligten und coolen Klang zu geben. Doch Maxine sah die Furcht in seinen Augen. Viel beunruhigender war jedoch die Gefahr, dass er mit seinem nächsten Selbstmordversuch Erfolg haben könnte. Das galt es zu verhindern. Diese Familie hatte schon genug Leid erfahren.
»Lass es uns einen Monat lang ausprobieren. Dann sprechen wir darüber und werden sehen, wie du dich fühlst und wie du darüber denkst. Ich glaube, dass es dir dort gefallen wird.« Lächelnd fügte sie hinzu: »Es handelt sich um eine Einrichtung für Jungen und Mädchen.«
Jason erwiderte ihr Lächeln nicht. »Und wenn es mir nicht gefällt?« Er sah ihr in die Augen.
»Dann sprechen wir darüber.« Wenn es sein musste, könnte sie ihn zwangseinweisen. Schließlich hatte er gerade bewiesen, dass er akut suizidgefährdet war. Aber eine solche Maßnahme wäre sowohl für ihn als auch für seine Mutter eine traumatische Erfahrung. Maxine versuchte stets, die Patienten dazu zu bewegen, freiwillig mitzuarbeiten.
»Halten Sie das wirklich für notwendig, Doktor?«, begann Jasons Mutter. »Ich habe heute Morgen mit meinem Arzt gesprochen. Er ist der Meinung, dass wir Jason noch eine Chance geben sollten. Jason sagt, dass er betrunken war und nicht wusste, was er tat. Er hat mir versprochen, dass so etwas nie wieder passieren wird.«
Maxine wusste besser als jeder andere, dass ein solches Versprechen keinen Pfifferling wert war. Und Jason wusste es auch. Seine Mutter wünschte sich nichts sehnlicher, als sich auf dieses Versprechen zu verlassen, doch sie war auf dem falschen Weg. Das Leben ihres Sohnes war ohne Zweifel in großer Gefahr.
»Ich fürchte, darauf können wir nicht vertrauen«, erklärte Maxine kurz und bündig.
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