Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
Vom Netzwerk:
trete in eine stille, dunkle Wohnung. Das kenne ich nicht. Bei uns ist Licht und Lärm. Leben, denke ich. Lautes, helles Leben. Jan dreht an einem Schalter und viel zu starke Glühbirnen leuchten über unseren Köpfen. Jan blinzelt und hält eine Hand über die Augen.
    »Hast du Kopfschmerzen?«, frage ich.
    »Das Licht ist zu hell«, sagt er. Er deutet auf die Kartons, die sich an einer Wand des Flures stapeln.
    »Die Lampenschirme sind noch in einem der Kartons.«
    »Es sieht aus, als wäret ihr eben erst angekommen«, sage ich.
    Jan geht voraus in ein großes Zimmer, das erste von dreien, die ineinander übergehen. Ein Konzertflügel
steht dort und füllt das Zimmer, als sei es eine kleine Kammer. Ansonsten ist es leer, die zwei anderen liegen im Dunkeln. Die große Gemütlichkeit ist das nicht.
    »Mein Vater will gar nicht ankommen«, sagt Jan.
    Ich würde gern was Kluges sagen, was Tröstendes. Es fällt mir nichts ein.Traue mich auch nicht zu fragen, wie lange seine Mutter tot ist. Lange her kann es nicht sein. Wenn Jan doch nur mal anfinge zu erzählen.
    »Ist dein Vater nicht hier?«, frage ich stattdessen.
    »Er ist heute in Husum. Es gibt noch einiges zu tun.«
    »Ist er oft weg?«
    Jan schüttelt den Kopf. »Er hängt viel hier herum. Ab und zu trifft er sich mit dem Vater von Lena. Sie sind alte Studienfreunde.«
    Das weiß ich. Das hat mir Andreas erzählt. Lenas Küche. Da fing es an. Dort hat mein großer Bruder die Liebe meines Lebens getroffen.
    »Ist es was Schlimmes?«, fragt Jan. Er sieht mich aufmerksam an. »Das, worüber du mit mir sprechen wolltest.«
    Ich sinke auf die Klavierbank, die breit genug ist, um zwei darauf sitzen zu lassen. Schwarz gelacktes Holz. Wie der Flügel.Wie Omas Klavier. Ich bin dankbar, dass Jan nicht gesagt hat: »Worüber du kurz mit mir sprechen wolltest.« Das waren meine Worte gewesen am Telefon.
    Es fällt mir schwer, von Omas Angebot zu erzählen. Klingt auf einmal banal. Doch dann denke ich, wie ungemein gemütlich es wäre in Omas Wohnung. Mit Jan. Und dann erzähle ich ihm alles.
    Jan lächelt. Ein viel tieferes Lächeln als eben im Flur. Gott, oh Gott. Kann dieser Junge lächeln. Mir wird warm in dem kühlen Zimmer.

    »Was wäre denn schlimm gewesen?«, frage ich.
    »Wenn es vorbei gewesen wäre, ehe es angefangen hat.«
    »Unsere Freundschaft?«, frage ich.
    »Es ist doch viel mehr als das«, sagt Jan.
    Ich kriege Herzklopfen. Jetzt wäre der Augenblick gekommen, um sich zu küssen und Klavier zu spielen. Doch stattdessen klingelt es an der Tür.
    Ich bleibe auf der Klavierbank sitzen, starre die Tasten an.
    Ist Jans Vater aus Husum zurück? Hat er keinen Schlüssel?
    Jan kommt ins Zimmer und hinter ihm tritt mein großer Bruder ein.
    »Ich hab mir gedacht, dass du hier bist, Schwesterlein«, sagt er.
    Ich knurre. Nicht wirklich ein freundlicher Laut. So spät ist es doch gar nicht. Ich hätte mich schon noch am Tisch eingefunden, um eine Mahlzeit mit meiner lieben Familie zu teilen.
    »Ich nehme an, du bist Teil des Überwachungssystems«, sage ich.
    »Du fühlst dich überwacht?«, fragt Andreas und tut, als könne er kein Wässerchen trüben. Kann ich ihm noch vertrauen?
    Jan ist dieses Gespräch offensichtlich unangenehm. Er steht neben dem Flügel und knickt Eselsohren in Notenblätter, die dort liegen. Ich wünschte, er würde sich an meine Seite stellen und flammende Worte zu unserer Liebe sagen. Oder wenigstens: »Ich meine es ernst. Deine Schwester ist bei mir gut aufgehoben.«
    Ich stehe auf.Werfe einen sehnsüchtigen Blick auf die
Tastatur. Wann kriege ich endlich was vorgespielt von Jan? Dann mache ich eine knappe Kopfbewegung zu Andreas hin. »Lass uns gehen«, sage ich.
    »Hast du was, das du Papa präsentieren könntest?«, fragt Andreas.
    Ich habe keine Ahnung, wovon er spricht.
    »Er hat ganz sicher nicht vergessen, dass du ›Sachen‹ für die Schule besorgen wolltest«, sagt Andreas, »du kennst ihn doch.«
    »Vergiss es«, sage ich und erweise mich im nächsten Moment als eine Meisterin der Improvisation. »Gab in der ganzen Stadt keine rosa Pappe.«
    Andreas grinst. »Gut ausgedacht«, sagt er, »rosa Pappe. Was habt ihr in der Achten damit vor? Stellwände für ein Projekt in Bio? Vielleicht die Entwicklungsphasen des Embryos?«
    »Schweine basteln«, sage ich, »Glücksschweine für den Adventbasar.«
    Auch Jan kapiert allmählich, dass hier kleine Notlügen gebastelt werden und nichts anderes. Doch er wirkt immer noch

Weitere Kostenlose Bücher