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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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hat Papa denn Angst?«, frage ich zehn Stunden später. Ich habe Oma die ganze Geschichte erzählt, kaum dass ich bei ihr zur Tür hereinkam.
    Ganz neu kann ihr Jan ja nicht sein, nachdem sie ihn schon in ihrer Kristallkugel gesehen hat.

    Oma legt mir gerade ein Stück Haselnusstorte auf den Teller. Groß genug, um den Kalorienbedarf von zwei Tagen zu decken.
    »Dass du zu schnell aufhörst, seine kleine Tochter zu sein«, sagt sie.
    Ich setze mich an den großen Glastisch und sehe zu, wie Oma Tee aus einer außerirdischen Edelstahlkanne einschenkt. Oma ist sehr modern eingerichtet. Das einzige alte Stück ist der große Bauernschrank aus Kirschbaumholz, in dem die ganzen Klamotten aus den Sechzigerjahren sind. Die Einrichtung meiner Eltern ist dagegen antik.
    Als Opa nach Italien ging, hat Oma alle dunklen Möbel aus der Wohnung geschmissen. Papa hat sie dann leider vor dem Sperrmüll gerettet.
    »Ich denke, dass er kein Vertrauen zu mir hat«, sage ich.
    Oma schüttelt den Kopf. »Das ist es nicht«, sagt sie, »auch wenn dein Vater eher der zweifelnde Typ ist. Er will dich behüten, vor Kummer und zu frühen Erfahrungen, und er ist sicher eifersüchtig.«
    »Auf Jan?«, frage ich.
    »Klar«, sagt Oma, »junger, dunkelhaariger Mann. Gut aussehend. Eher der romantische Typ.« Sie lacht.
    »Woher wusstest du von Jan?«
    »Du warst so verzaubert, du hast gar nicht gemerkt, dass ich auch auf dem Flur stand, als dir Jan zum ersten Mal begegnete.«
    »Zum dritten Mal begegnete«, sage ich. Manchmal bin ich kleinlich. »Doch er hat mich da zum ersten Mal gesehen.«

    »Eben«, sagt Oma, »darauf kommt es an.«
    »Ich habe mich in ihn verliebt«, sage ich.
    »Ich weiß«, sagt Oma.
    »Papa wird mich nicht nur behüten, er wird mich bewachen«, sage ich, »er ist ja schon immer ins Zimmer geplatzt, wenn nur Hanna da war.«
    Oma zögert mit einer Antwort. Sie zieht die Stirn zusammen, die sonst noch ganz glatt ist. Hat sie auch Bedenken?
    »Am Freitag gehe ich in aller Frühe in die Klinik«, sagt sie. »Vielleicht kannst du am Donnerstag noch mal mit Jan zu mir kommen. Ich hoffe, er hat Zeit. Es wäre mir wichtig.«
    Ich bin überrascht. Was bedeutet das jetzt? Hat sie einen Auftrag von Papa oder Mama, Jan kritisch zu beäugen?
    »Zwei Brüder«, sagt Oma, »und deine Eltern, die oft zu Hause arbeiten. Das ist ein ziemliches Gedränge in eurer Wohnung.« Sie guckt mich an. »Wenig Freiraum für dich, nicht wahr?«
    Ich hänge an ihren Lippen. Hab keine Ahnung, auf was sie hinauswill.
    »Tonilein«, sagt sie, »ich habe großes Vertrauen zu dir. Darum werde ich dir den Wohnungsschlüssel geben für die Zeit, in der ich in der Klinik bin. Du kannst hier ein und aus gehen. Auch mit Jan. Du musst mir nur eines versprechen.«
    »Dass wir nicht miteinander schlafen«, sage ich.
    »Da vertraue ich auf eure Vernunft«, sagt Oma, »und darum möchte ich mir deinen Jan auch noch mal angucken, um ihn einschätzen zu können. Nein. Ich spreche
von was anderem. Ich will nicht, dass deine Eltern sich sorgen, weil sie denken, du bist verloren gegangen. Du sollst nicht zu deinem Vater gehen und sagen, Oma hat mir ihren Schlüssel gegeben. Doch ich erwarte, dass du nicht zu Zeiten hier sein wirst, in denen du nach Hause gehörst. Das heißt nicht in der Nacht und auch nicht am späten Abend. Da bist du bitte bei Mama und Papa.«
    »Das verspreche ich dir gern«, sage ich.
    »Du glaubst gar nicht, wie romantisch Nachmittage sein können«, sagt Oma, »die blaue Stunde, wenn die Dämmerung kommt. Die kommt jetzt ja jeden Tag früher. Vor Ende der zweiten Novemberwoche werde ich kaum entlassen werden.«
    Sie folgt meinem Blick und sieht, dass ich das Klavier betrachte. Schwarz lackiert. Ich kann mich beinah spiegeln darin.
    »Spielt er Klavier?«, fragt Oma. Ich nicke. »Als hätte ich es geahnt«, sagt Oma. Sie steht auf und setzt sich auf den Klavierhocker aus schwarzem Leder mit Edelstahlfüßen.
    Ich stehe auch auf, um mich ans Klavier zu lehnen. Auf Omas grauen Kurzhaarschnitt zu schauen und an Jans dunkle Locken zu denken. Ein Geschenk des Himmels, dieses Angebot von Oma. Hoffentlich sieht es Jan auch so. Nicht dass er Angst vor der eigenen Courage kriegt. Und dann fällt es mir ein, gerade als Oma zu spielen anfängt.
    »Mama und Papa haben doch einen Schlüssel von dir«, sage ich in die ersten Takte von Let it be hinein.
    Oma schüttelt den Kopf. »Stell dir vor«, sagt sie, »ich
habe meinen Schlüssel verkramt und musste mir den

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