Herzensjunge
verlegen.
»Kann ich was tun, dass eure Eltern nichts mehr dagegen haben?«, fragt er und guckt Andreas an. Gefällt mir das?
»Am besten kommst du mit einem Stapel Kunstbücher vorbei und wickelst meinen Vater darin ein«, sagt Andreas. Er lacht.
Jan und ich umarmen uns unter den hellen Glühbirnen. Er sieht ganz blass aus. Wer weiß, wie ich aussehe. Gut, dass wir dieses kleine Geheimnis teilen können. Übermorgen werden wir zu Oma gehen.
32
Ich laufe neben Andreas her und schweige. Pampiges Schweigen. Das will ich eigentlich durchhalten. Auch beim Abendessen. Dass mein großer Bruder sich zu Papas Handlanger macht, empört mich. Ich habe ihn für meinen Verbündeten gehalten.Als er anfing, mit Lena zu gehen, hat Papa viel gelassener reagiert. Obwohl ich zugeben muss, dass Andreas da schon älter war. Mit vierzehn hat er noch vor dem Computer gesessen und »Counterstrike« gespielt, und wenn Papa ins Zimmer kam, hat er sich schnell in ein Forum für Oberschüler geklickt.
Ich unterbreche das pampige Schweigen ein paar Straßen vor unserem Haus. Zu viel muss geklärt werden.
»Woher wusste Papa, dass ich bei Jan bin?«, frage ich.
»Wusste er gar nicht. Oma rief an, um dich zu sprechen, und da ging ihm auf, dass du nicht länger Kuchen bei Oma gegessen hast, sondern dich ›herumtreibst‹, wie er es nannte.«
»Was ist los mit ihm?«, frage ich. »Er war immer schon streng, doch allmählich wird er total kleinkariert.«
»Weiß nicht«, sagt Andreas, »vielleicht die Wechseljahre.«
Haben Männer die auch? Mit zweiundvierzig Jahren?
»Ich hab gedacht, ehe es eskaliert und du nachher Stubenarrest bekommst, gucke ich lieber mal bei Jan nach.«
Dann ist Andreas ja der Gute. Ich leiste ihm innerlich Abbitte. Obwohl ich noch nie Stubenarrest bekommen habe. Aber wer weiß.
Die dicke Luft drängt sich uns schon entgegen, kaum dass wir die Tür aufgeschlossen haben. Papa sitzt in der Küche. Allein. Der Tisch ist gar nicht gedeckt.Vielleicht wurde er bereits abgeräumt. Ist ja auch schon halb neun. Das ist spät bei uns. Viel zu spät für Adrian, der im Wohnzimmer vor dem Fernseher zu sitzen scheint. Ich höre jedenfalls die Stimmen aus dem »Dschungelbuch«. Das ist sein liebstes Video.
»Wo ist Mama?«, frage ich.
»Guten Abend, Antonia«, sagt Papa. »Wo warst du?«
Da platzt es aus mir hervor. Ich habe einfach keine Lust auf Lügerei. Sagen wir mal, ich will die Lügerei so klein wie möglich halten.
»Bei Jan«, sage ich, »er bringt mir Klavierspielen bei. Dagegen hast du doch sicher nichts. Das ist besser als Blockflöte.«
»Wenn du dabei allein mit Jan in seiner Wohnung bist, dann habe ich sehr wohl was dagegen«, sagt Papa.
»Wo soll ich es denn sonst tun?«
»Wenn Oma aus dem Krankenhaus kommt und sich erholt hat, dann könnt ihr das ja bei ihr tun und anschließend einen Tee mit ihr trinken.«
Verdammt. Papa ist nahe dran an der Wahrheit.
»Wovor hast du eigentlich Angst, Papa?«, frage ich. »Dass du bald Großvater wirst?«
Endlich kommt Andreas in die Küche. Ich hatte schon gedacht, er bleibt vor dem Fernseher kleben, um mit unserem kleinen Bruder Mogli und Balu zu gucken. Vielleicht hat er nur dieses Stichwort gebraucht.
»Wer wird bald Großvater?«, fragt Andreas.
Papa blickt ihn streng an.
»Wo ist eigentlich Mama?«, fragt Andreas.
Es kommt wirklich selten vor, dass Mama am späteren Abend nicht zu Hause ist.Ab und zu hat sie einen Interviewtermin. Ist sie für »Die wahre Geschichte« unterwegs? Das kann sie ja nicht alles nur am Schreibtisch erledigen. Das muss »bebildert« werden, wie Mama immer sagt.
»Eure Mutter hat sich einen freien Abend genommen«, sagt Papa, »ein spontaner Einfall von ihr.«
Das ist doch nichts Schlimmes. Ich könnte auch nicht immer mit Papa dasitzen und tiefsinnig sein und dabei Rohkost essen. Doch mein großer Bruder scheint es ernster zu nehmen. Er setzt sich zu Papa an den Tisch und guckt ihn an.
»Habt ihr eine Krise?«, fragt er.
»Wie kommst du denn darauf?«, fragt Papa zurück.
»Du solltest mal öfter dein Korsett ablegen«, sagt Andreas.
Er steht auf und öffnet den Kühlschrank und holt zwei Dosen Bier heraus. Eine stellt er vor Papa.
»Dann wenigstens mit Glas«, sagt der, »aus der Dose trinke ich nicht. Ihr wollt ja nur von Antonias Eskapaden ablenken.«
Ich setze mich ebenfalls hin, denn ich habe das Gefühl, er ist froh über die Wende, die der Abend nimmt. Ich bin es auch, obwohl ich ganz bestimmt keine Krise
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