Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
Vom Netzwerk:
Nachmittagen bleiben.
    Sechzehn Tage soll Oma im Krankenhaus bleiben. Wenn alles gut geht und sie sich schnell erholt.
    Kann mir einfach nicht vorstellen, dass Jan und Oma sich nicht sofort in die Arme fallen. Diese beiden Menschen, die ich so liebe, müssen sich einfach mögen. Doch ich hätte die ersten Minuten gern hinter mir.
    Oma ist ein Schatz. Sie öffnet die Tür und macht die Arme weit. Für uns beide. Jan wirkt gleich auch viel entspannter. Er nimmt die Mütze ab. Ich stolpere über die große Reisetasche, die neben dem Eingang steht. Vollgepackt. Sieht aus, als ob Oma eine Weltreise plane.
    »Wäsche für zwei Wochen«, sagt Oma, »ganz abgesehen davon, werde ich wohl vor allem diese kleidsamen Klinikhemdchen tragen.« Sie grinst.
    »Du hast wirklich an alles gedacht«, sage ich, »was ist mit der Post?«
    »Könntest du gelegentlich den Kasten leeren?«, fragt Oma. »Ich habe meinem lieben Sohn schon gesagt, dass ich dir gerne die Verantwortung dafür übergeben würde. Das hat ihm gefallen. Einen Schlüssel für den Briefkasten habe ich noch gefunden. Die anderen für Wohnung und Haustür sind ja leider wie vom Erdboden verschluckt.«
    Oma nimmt ein Schlüsselbund mit einem silbernen
Herz von der weißen Korbtruhe, die in der Diele steht, und reicht ihn mir, während sie das sagt. Es ist der Ersatzschlüssel, den wir sonst für alle Fälle bei uns liegen haben. Hat sie gar kein schlechtes Gewissen, Papa anzulügen? Mein Gewissen pikst mich schon.
    »Ich bitte dich darum, ihn gut zu verbergen«, sagt sie, »das will ich doch vermeiden, dass dein Vater mich einer Lüge überführt. Diesen Schock will ich ihm nicht bereiten. Das hat er nicht verdient.«
    Sie führt uns ins Wohnzimmer und Jan geht gleich zum Klavier und schlägt ein paar Tasten an. Ich warte darauf, dass er sich hinsetzt und endlich zu spielen anfängt. Wie lange warte ich schon darauf? Seit Tagen. Doch Jan tritt an die Terrassentür und schaut auf die Alster, die sich heute ziemlich bewegt zeigt.
    »Jan«, sagt Oma auf einmal, »ist dir schlecht?«
    Ich sehe auch, dass er schwankt und sich am Rahmen der Tür festhält.
    »Setz dich, Junge. Ihr wachst ja auch alle so schnell.«
    »Es ist nichts«, sagt Jan, »nur ein kleiner Schwindel. Das habe ich gelegentlich, wenn ich aufs Wasser schaue.«
    »Dann warst du in Husum ja genau am richtigen Ort«, sage ich.
    Nicht nur die Alster, sondern die ganze Nordsee vor der Haustür.Wie hat er das nur ausgehalten?
    »Ich habe zufällig einen kleinen Kuchen da«, sagt Oma, »vielleicht sollten wir uns erst einmal Nervennahrung zuführen.«
    Wir setzen uns an ihren Glastisch und gucken auf den kleinen Kuchen, der ein fetter Frankfurter Kranz ist. Ich denke an mein Projekt Elfe und jammere innerlich.
Äußerlich lasse ich mir ein großes Stück auf den Teller tun.Wäre ja zickig, jetzt um einen Apfel zu bitten.
    »Wird auf der Alster viel gesegelt?«, fragt Jan.
    »Ja«, sagt Oma, »und das braucht seglerisches Geschick. Die Winde wechseln sehr stark. Kannst du segeln?«
    Jan stochert in seinem Kuchen. Er scheint die Frage nicht gehört zu haben. Ich will doch, dass er den besten Eindruck macht.
    »Nein«, sagt Jan endlich. »Mein Vater wollte es mir beibringen. Doch ich habe nie die Kurve gekriegt.«
    »Ich auch nicht«, sagt Oma, »ich habe mein Leben lang sportlich ausgesehen. Doch das war alles nur Täuschung.«
    Sie lächelt Jan zu und er lächelt zurück. Ich sehe, dass sie sich verstehen. Ein Glück. Ich atme auf.
    »Spielst du uns was vor?«, frage ich, nachdem sich jeder von uns gegen ein zweites Stück Torte entschieden hat. Ist es ihm peinlich, uns was vorzuspielen? Ich denke daran, wie doof ich es fand, wenn Mama oder Papa mich aufforderten, einen Aufsatz vorzulesen, für den ich eine Eins bekommen hatte. Doch Jan steht auf und sieht aus, als tue er es gerne, sich ans Klavier setzen. Schließlich will er Pianist werden.
    Dann fängt er an zu spielen. Ein langes Stück, das er aus dem Kopf spielt. Ich habe keine Ahnung, was es ist. Klassisch eben.
    »So schön habe ich Mendelssohn lange nicht gehört«, sagt Oma.
    Dass sie das erkannt hat. Ich staune. Oma sieht ganz ergriffen aus.
    Jan hält inne, die Hände noch über den Tasten. Er
scheint in sich hineinzugucken. Nach neuen Liedern vielleicht.
    Dann fängt er an zu spielen und ich glaube es nicht. Gleich breche ich in Tränen aus. My heart will go on ist das Lied, das Jan spielt. Es trifft mich mitten ins Herz.
    »Schön, Junge«, sagt Oma,

Weitere Kostenlose Bücher