Herzensjunge
Krabbensalat, den ich Oma am späteren Nachmittag noch in die Klinik bringen will. Außerdem auch noch kleine Geflügelfrikadellen. Die sind für Jan und mich.
Jan hat Blumen dabei und eine Flasche Sekt. Ich trinke eigentlich keinen Alkohol. Höchstens mal ein Alsterwasser. Das ist das Bier mit viel gelber Limo. Doch ich finde es wunderbar, ein bisschen Sekt aus Omas hohen Kelchen zu trinken und anzustoßen auf das Glück. Dass alles gut gehen möge mit Jan und mir und mit Oma.
Andreas hat mir ein Alibi gegeben. Ich hatte ja noch was gut, wo wir gestern doch schon so früh zu Hause waren. Mein lieber großer Bruder weiß nicht, dass Oma uns einen Zufluchtsort geschaffen hat. Ich nehme an, er vermutet uns bei Jan.
Offiziell sind Andreas und ich in Fluch der Karibik 2
im Grindelkino. Den Film habe ich schon bei Hanna auf DVD gesehen. Da kann nichts passieren, selbst wenn Papa mich danach fragen sollte.
Jan und ich sind aufgeregt, als wir die Treppen zum obersten Stock hochgehen. Ich schließe Omas Tür auf und alles ist still und anders.
Die Blumen sind Rosen. Keine langstieligen roten. Zarte, kleine rosa Röschen. Ich finde eine Vase und stelle sie hinein. Die ersten Rosen, die ich geschenkt bekomme. Sonst kriege ich Schneeglöckchen und Tulpen zu meinem Geburtstag im Januar und manchmal Mimosen.
Die Alster ist heute viel ruhiger als vorgestern. Ein frostiger Nebel hängt über ihr. Ich liebe diesen See mitten in der Stadt. Ich stehe an der Terrassentür und Jan tritt hinter mich und blickt mir über die Schulter. Er ist ruhig wie die Alster. Kein Schwindel. Nein. Ich werde ihn nicht nach Telse fragen.
Nicht am ersten Tag. Es wird ihn nur traurig machen.
Ich würde gern ein Foto von ihr sehen. Ich nehme an, sie sieht aus wie Jan. Wir küssen uns. Ein richtiger Kuss. Ich habe lange nicht gewusst, was einen richtigen Kuss ausmacht.Wichtig ist, dass Liebe dabei ist.
37
Am nächsten Tag ist alles leichter und heiterer. Die Sonne scheint und die Alster glänzt silbern. Auch Jan
wirkt froh. Die Wohnung wird ihm vertrauter. Sicher liegt es daran.
Wir gackern und gucken ein bisschen herum. Steigen in den großen Kleiderschrank aus Kirschbaumholz, und ich ziehe ein Hemd aus indischer Seide für Jan hervor, das noch immer nach Hasch zu riechen scheint. Kann man sich vorstellen, dass mein Großvater das getragen hat?
Papa und Mama gehen mit meinem kleinen Bruder an der Elbe spazieren.Von Övelgönne bis Teufelsbrück. Da sind sie eine Weile unterwegs. Kehren sicher zu einer Tasse Tee ein und haben Adrian ein Kännchen heiße Schokolade versprochen und Möwenfüttern am Anleger des Museumshafens. Das kann dauern.
»Warum kommt unsere Tochter nicht mit?«, hatte Papa gefragt, als sie aufbrachen. Ich wühlte gerade in meinem Eastpak herum, um Omas Schlüssel hervorzuholen. Ich werde ein anderes Versteck brauchen. Dieses ist zu unsicher.
»Sie hat noch einiges für die Schule zu tun«, sagte Mama, die wohl die Wühlerei am Eastpak so deutete. Doch vielleicht wollte sie mir auch nur helfen. Sie ahnt was, das weiß ich. Ihre eigene Sehnsucht nach kleinen Fluchten ist so groß, dass sie Verständnis für meine hat.
Im Grunde verbünden sich alle gegen Papa. Eigentlich tut er mir leid. Könnte er nur aus seinem Korsett heraus! In ihm schlummern doch die Gene seiner Eltern.
Ich werde heute auch noch mal zu Oma gehen. Papa und Mama waren schon am Mittag bei ihr. Morgen wird sie operiert.
Jan will mich begleiten. Ich denke, wir wagen es einfach.
Papa läuft an der Elbe herum und kann sich nicht wundern, dass Jan an Omas Bett sitzt. Wir sprechen noch immer nicht über Telse.
Obwohl jetzt vielleicht der Moment wäre.Wir lümmeln beide in dem Sessel, der an der Terrasse steht. Er ist groß genug, um Antonia, die Nichtelfe, und den hochgewachsenen Jan aufzunehmen. Eigentlich ist er ein Sofa für zwei und eines von Omas teuren Designerstücken.
Jan lässt die langen Beine über die Lehne hängen. Sein Kopf liegt in meinem Schoß. Ich streichele seine Locken.Vermeide es, die Narbe zu berühren. Wir sammeln die Tabuthemen nur so. Der Tod seiner Mutter. Sein Vater. Die Narbe.
»Woher hast du sie?«, höre ich mich fragen. Jan antwortet nicht.
Was hat mein großer Bruder vor Ewigkeiten gesagt? »Dann sprich ihn mal auf die Narbe an. Da geht er drüber hinweg, als hättest du Halluzinationen.«
Ich höre auf, ihn zu streicheln.
»Okay«, sage ich, »wir können alles vermeiden, was ans Eingemachte geht. Wir können den
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