Herzensjunge
du gesagt?«, frage ich.
Mama antwortet mit einer Gegenfrage. Das wird allmählich eine Spezialität von ihr.
»Hast du ihr ein Alibi gegeben?«
Ich druckse herum. Diese Antwort kann eine Lawine auslösen.
»Also ja«, sagt Mama. »Ich habe ihrem Vater gesagt, dass du auch noch nicht zu Hause seiest und ich dich jeden Augenblick erwarte. Und dass ich annehme, dass ihr bei Lena seid, der Freundin deines Bruders.«
Wie kommt sie darauf?
»Was anderes fiel mir so schnell nicht ein«, sagt Mama, »ich wollte euch nicht in die Pfanne hauen. Doch es war falsch, Hannas Vater nicht die Wahrheit zu sagen.Was ist, wenn sie wieder für Tage verschwindet?«
»Was soll ich tun?«, frage ich.
Irgendwie bin ich sauer. Es kann doch nicht sein, dass mir Hanna schon wieder den Zauber nimmt. Den Zauber dieses Abends. Ich hätte den so gern mit in mein Bett genommen. Wo treibt sie sich herum mit Kalli?
»Was hatte Hanna vor?«, fragt Mama.
»Ins Kino gehen und dann noch was trinken. Höchstens bis elf.«
»Wo kriegt Hanna was zu trinken höchstens bis elf?«, fragt Mama. »Sie ist dreizehn Jahre alt.«
Mama ist sauer, das höre ich ihr an. Wer weiß, aus welchem Zauber sie gerade gerissen wird? Ich will auf keinen Fall, dass sie sich in dieses »dreizehn Jahre alt« vertieft. Vielleicht kommt sie doch noch auf die Idee, mir meine wenigen Freiräume zu nehmen.
»Im Mississippi «, sage ich, »da sind die Kellner großzügig.«
»Großzügig«, sagt Mama. Sie schnaubt.
»Vielleicht ist Hanna inzwischen zu Hause«, sage ich.
»Wie willst du das feststellen?«, fragt Mama. »Anrufen und sagen, dass du ihr ein Alibi gegeben hast und ob sie nun da sei?«
Ich finde es enorm lieb, dass Mama bereit ist, mich zu decken. Papa hätte mich schon an den Ohren zu Hannas Eltern geschleift. Papa sagt immer, Mama sei zu »permissiv«. Ich habe im Wörterbuch nachgeguckt, was das heißt. Schlicht und einfach, dass Mama viel zu viel erlaubt.
Mama geht in den Flur und kommt in ihrem Mantel wieder.Was ist das?
»Du und ich gehen jetzt ins Mississippi «, sagt sie, »und wenn sie dort nicht mehr sitzt, dann rufen wir ihre Eltern an.«
52
Das Mississippi ist ein großer Laden. Lauter riesige Poster von Raddampfern hängen da herum und Blechschilder, auf denen für ein Getränk namens Southern Comfort geworben wird.
Tagsüber sitzen da ältere Leute mit vielen Tüten, die aus einem nahen Einkaufszentrum kommen und an Nachos knabbern.Am Abend ist das Publikum völlig anders, da senkt sich das Durchschnittsalter enorm. Das liegt sicher auch daran, dass die Kellner nicht genau hinsehen, wenn man Getränke bestellt, und nie nach dem Perso fragen. Das Wort »Kinderausweis« kennen die gar nicht. Wenn eine Runde Alkohol bestellt wird, sagt der Kellner: »Ihr seid sicher alle schon achtzehn«, und dann ist das gebongt. Sie wollen einfach keine Spielverderber sein.
Hanna und ich haben hier schon einige »Virgin Swimmingpools« getrunken - Ananassaft und Kokosmilch mit Sahne und einem Schuss blauen Sirup. Das Ganze gibt’s natürlich auch mit Alkohol.
Es ist noch ziemlich voll, als Mama und ich ins Mississippi kommen.
Mama ist zwar erst vierzig, doch sie fällt ganz schön aus dem Rahmen.
Um uns herum ist das Höchstalter Mitte zwanzig und das sind die Kellner.Vorne ist ein langer Tisch, an dem ein Geburtstag gefeiert wird, vielleicht der achtzehnte, denn es stehen eine Menge Flaschen auf dem Tisch, in denen weder Cola noch naturtrüber Apfelsaft ist.
Hinten auf den Lederbänken unter den großen Spiegeln sitzen Pärchen.
Hanna sehe ich nicht, doch hinten in einer Ecke sitzt Kalli.
»Da ist Kalli«, sage ich zu Mama.
»Der ist immer noch im Spiel?«, fragt sie.
Wir rudern uns durch das Lokal, bis wir an den Bänken ankommen.Kalli sieht mich mit glasigen Augen an. Gerade will ich fragen, wo zum Teufel Hanna steckt, doch da sehe ich sie auf der roten Lederbank liegen. Sie schläft. Ich ziehe sie nicht gerade liebevoll am Arm. Sie setzt sich auf. Gegen Hannas Blick ist der von Kalli klar wie ein Bergsee.
Wie soll ich ihren Eltern erklären, dass sie betrunken ist? Sich in meiner Gesellschaft betrunken hat. Bei Lena.
Mama wirft Kalli einen wütenden Blick zu, dann führen wir Hanna aus dem Mississippi . Die Blicke, die uns begleiten, reichen von Mitleid bis Spott. Egal. Ich will das hier nur hinter mir haben, und ich wette, Mama geht es nicht anders.
Wir stapfen durch den Schneematsch zu Mamas Auto, und da kommt mir eine Idee, wie ich
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