Herzensjunge
ist. Und dass Opa im Dezember auch noch kommt.
Ob so viel Aufregung für sie gut ist?
»Ich gehe jetzt doch lieber«, sagt Jan. Er gibt mir einen Kuss von der kleinen Variante. Ist ihm vielleicht unangenehm, vor Andreas jetzt auf große Liebesszene zu machen.
»Ich freue mich darauf, dir mein Zimmer zu zeigen«, sagt Jan.
»Fährt dein Vater schon Freitagabend?«, frage ich. Jan ist noch nicht mal gegangen und ich komme schon um vor Sehnsucht nach ihm. Habe nur keine Ahnung, wie ich von zu Hause wegkommen soll.Vielleicht kriege ich doch noch Stubenarrest.
»Samstag in aller Frühe«, sagt Jan und hat den gleichen Gedanken wie ich. »Hoffentlich lässt dein Vater dich überhaupt weg«, sagt er.
»Das kriegen wir schon hin«, sagt Andreas.
»Ich will mich noch von euren Eltern verabschieden«, sagt Jan und öffnet die Zimmertür. Da hören wir, was wir nicht oft gehört haben, seit Andreas und ich auf der Welt sind. In Mamas Arbeitszimmer tobt ein heftiger Streit.
62
Oma und ich sitzen im Aufenthaltsraum der Kardiologischen Station.
Er ist nicht gerade von großer Anheimeligkeit. Eine Grünpflanze verhungert zwischen Plastikstühlen, ein Fernseher steht still in der Ecke. An einer Wand hängt ein Fotokalender. Das Kalenderblatt zeigt den Monat August an.
Es sind Dünen drauf zu sehen.
»Dich bedrückt doch noch mehr«, hat Oma gerade gesagt.
Bisher habe ich nur von dem Schlüssel erzählt, der aus Italien gekommen ist. Darüber hat sie erst den Kopf geschüttelt und dann gelacht.
»Erzähl,Tonilein«, sagt sie jetzt, »ich kenne dich doch. Du denkst, du darfst meiner schicken, neuen Herzklappe nichts zumuten. Doch es belastet mich viel mehr, wenn ich spüre, dass was nicht in Ordnung ist, und keiner macht den Mund auf. Das habe ich noch nie gerngehabt.«
Da erzähle ich ihr von dem Streit gestern Abend. Der laut war, wie ich es noch nicht erlebt habe. Dass Adrian zu mir ins Bett gekrochen ist vor lauter Angst, Mama und Papa würden sich nie mehr vertragen.
Ich berichte ihr auch vom Auslöser des Streites.Von der Szene mit Papa in Andreas’ Zimmer. Dass Mama gesagt hat, er stelle sich und mich bloß.
»Ach du liebe Güte«, sagt Oma, »mein kleiner Bob.«
Das habe ich noch nie von ihr gehört. Sie spricht Papa kaum mal mit Vornamen an. Sie sagt immer nur
»Sohn« zu ihm. Und nun ein Kosename. Die Abkürzung von Papas Namen.
»Tonilein, ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, und mir ist klar geworden, dass ich für meinen Sohn keine gute Mutter war.«
Ich denke an Papa, der mir hier im Krankenhaus gesagt hat, dass er manchmal auf der Strecke geblieben sei, weil sich seine Eltern alle Freiheiten genommen haben.
»Ich weiß, dass du die beste aller Großmütter bist«, sage ich.
Oma lächelt. »Ich habe mich gebessert«, sagt sie, »doch die Kindheit deines Vaters war schon sehr chaotisch. Das Leben in der Kommune, das hat ihm gar nicht gefallen. Alles ging drunter und drüber. Keine so schöne Wohnung, wie ihr sie habt, und Welten entfernt von dem Wohnstil, den ich heute pflege.Wahrscheinlich liegt es daran, dass er so großen Wert auf Ordnung legt.«
»Das hat doch nichts mit Jan und mir zu tun«, sage ich.
Oma seufzt. »Ich denke, dass es ihn verunsichert, wenn seine Tochter mit noch nicht ganz vierzehn eine Liebe erlebt. Das gefährdet seine Ordnung. Darum neigt er dazu, dich zu sehr zu behüten.«
Ich nenne es »bewachen«, was Papa da tut. Doch ich fange an, ein bisschen besser zu verstehen, was ihn dazu bringt.
»Das mit dem Schlüssel tut mir leid«, sagt Oma.
»Jan und ich hatten eine so schöne Zeit bei dir«, sage ich.
»Und wo werdet ihr euch nun treffen im kalten Winter?«
»In Jans Zimmer.«
»Sein Vater hat nichts dagegen?«
Ich hebe die Schultern. »Er ist wohl vor allem mit sich und seiner Trauer beschäftigt«, sage ich.
Oma bringt mich zum Ausgang. In drei Tagen wird sie wieder zu Hause sein. Drei Tage, die Jan und ich noch hätten nutzen können. Zu schade, dass wir kein Abschiedsfest von Omas Wohnung machen können. Stattdessen macht Papa eine Putzorgie. Auf dem Weg zur Bushaltestelle fällt mir ein, dass ich Oma gar nicht erzählt habe, dass Opa im Anmarsch ist.
Doch vielleicht wäre das zu viel an Aufregung gewesen.
63
Ich trete in Jans Zimmer und als Erstes fällt mir das Poster von John Lennon auf. Ich erkenne ihn auf den ersten Blick. Schließlich habe ich eine Großmutter, die ein bekennender Fan der Beatles ist. Jan hat mir auch schon mal Lieder von ihnen auf
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