Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
Sie haben auch nicht gesehen, was ich gesehen habe, erlebt, was ich erlebt habe. Ihr Wissen über die Physiologie des Menschen reicht nicht über das der Mittelschule hinaus.« Er schüttelte den Kopf und bedachte die beiden Ermittler mit einem Blick, der schon fast mitleidig wirkte. »Sie können nichts dafür. Sie sind einfach nicht intelligent genug.«
»Das mag sein«, räumte Grohmann ein, »aber ich muss auch gar nicht verstehen, was in Ihrer kranken und verdrehten Gedankenwelt vorgeht, um zu begreifen, dass Sie gerade ein Geständnis abgelegt haben und man Ihnen wegen schwerer Körperverletzung und vielleicht sogar Mordes den Prozess machen kann.«
Mertens lächelte. Zum allerersten Mal zeigte sich in seinem Gesicht eine positive Regung. »Auch wenn ich jahrelang nicht mit meiner Umgebung kommuniziert habe, so habe ich doch zugehört.« Er warf Pontus Lohaus, der in den letzten Minuten deutlich von seinem Schützling abgerückt war, einen Blick zu. »Wenn man nichts sagt, vergessen die Leute leicht, dass man ein funktionierendes Gehör hat. Ich weiß, dass ich Krebs habe, und ich weiß, dass mir die Ärzte nur noch ungefähr ein Jahr geben. Der Krebs wird mich vor dem ersten Gerichtstermin dahingerafft haben.«
»Dann hat es ja ausnahmsweise mal den Richtigen getroffen«, sagte Jennifer und nahm überrascht zur Kenntnis, dass sie sich keinen tadelnden Blick des Staatsanwalts einhandelte. »Das erklärt vermutlich auch, warum der Mörder sich nicht direkt an Ihnen rächt. Es ist doch viel schöner, dabei zuzusehen, wie Ihre Vergangenheit ans Licht kommt und Ihr Lebenswerk endgültig zerstört wird, bevor Sie elendig krepieren.«
»Ihre Wünsche in Ehren, aber dazu wird es nicht kommen.« Mertens seufzte entspannt und selbstzufrieden. »Jedenfalls, was den Mann angeht, hinter dem Sie eigentlich her sind: Vielleicht kenne ich ihn, vielleicht auch nicht. Vielleicht habe ich eine Ahnung, wer es sein könnte, vielleicht nicht. Fest steht, dass Sie mir nichts mehr anzubieten haben und ich deshalb wohl mit ins Grab nehmen werde, ob ich Ihnen einen Namen nennen könnte oder nicht.«
»Sie können sich Ihre Spielchen sparen, Mertens«, erwiderte Grohmann. »Ihnen würde ich im Traum keinen Deal anbieten.«
»Tun Sie mir aber doch bitte einen Gefallen, ja?«
Das würde der Staatsanwalt gewiss nicht tun, trotzdem fragte er: »Und der wäre?«
»Eröffnen Sie ein Ermittlungsverfahren gegen mich. Erheben Sie Anklage.« Der Blick des Neurologen fiel auf die Akte, die noch immer geschlossen vor Jennifer auf dem Tisch lag. »Scheinbar war Gerda ja doch noch zu etwas zu gebrauchen. Mit ihrer Hilfe scheint die Polizei unfreiwillig ein Ersatzprotokoll meiner Operationen angefertigt zu haben. Davon hätte ich gerne eine Kopie.«
Grohmann lag eine unangemessene Erwiderung auf der Zunge, die er krampfhaft hinunterschluckte. »Wir werden sehen.«
15
Die Rückfahrt nach Lemanshain verbrachten die beiden Ermittler schweigend. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und noch waren die Straßen nicht geräumt, sodass sie nur langsam vorankamen. Das Schneetreiben war teilweise so dicht, dass Jennifer kaum etwas sehen konnte.
Als sie gegen drei Uhr nachts endlich das Frankfurter Kreuz erreichten, fragte Oliver in die bedrückende Stille hinein: »Was denkst du?«
Bisher hatten sie noch kein Wort zu Mertens und seinen Einlassungen gesagt. »Das willst du gar nicht wissen«, erwiderte die Kommissarin tonlos.
Oliver sah aus dem Beifahrerfenster, um nicht länger in die auf sie zurasenden Flocken vor schwarzem Hintergrund starren zu müssen. »Falls du Phantasien hast, die mit der Wiedereinführung der Todesstrafe zu tun haben, bist du nicht alleine.«
Jennifer warf ihm einen überraschten Seitenblick zu. »Dumm nur, dass Mertens keine Zeit mehr hätte, um auf die Vollstreckung zu warten.«
»Ja, leider.«
Es vergingen mehrere Sekunden, bevor Jennifer leise sagte: »Wir sollten so etwas nicht denken, oder?«
Oliver schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht, nein.«
»Du wirst kein Verfahren gegen ihn einleiten?«, stellte sie die Frage, auf die er schon die ganze Fahrt über gewartet hatte.
Sein Seufzen war Antwort genug. »Zum einen liegt es nicht in meiner Zuständigkeit, zum anderen hat Mertens leider recht. Wir haben kaum handfeste Beweise, und bis das Ganze vor Gericht käme, wäre er vermutlich längst tot. Außerdem würde es mich nicht wundern, wenn man ihn für geisteskrank erklären würde.«
»Das heißt, es wird
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