Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
Studiolampen gewöhnt waren, dennoch blieb sie vorsichtig. Es war eine sternenklare Nacht und fast Vollmond.
Jennifer wusste nicht, wie Drach reagieren würde, wenn er merkte, dass er aufgespürt worden war. Sie musste ihn zu allererst von Selina Fiedler fortlocken, um sie seinem direkten Zugriff zu entziehen. Er brauchte das Licht. Also war der erste Schritt, ihm die Stromzufuhr zu kappen.
Da sie die einzelnen Schalter an dem tragbaren Gerät nicht erkennen konnte, zog sie die Kabel und unterbrach so den Kontakt. Mit einem letzten Röhren verstummte der Generator, und keine Sekunde später gingen die Studiolampen aus. Jennifer zog sich ein paar Meter zurück und hockte sich bei der hinteren Stoßstange hin. Falls Drach eine Taschenlampe dabeihatte, wollte sie nicht direkt im Lichtkegel stehen, wenn er sie herum schwenkte.
Der Generator dröhnte weiter vor sich hin. Erst jetzt nahm Jennifer den Gestank der Abgase wahr, die die Luft verpesteten.
Ihre Augen gewöhnten sich schnell an die neuen Lichtverhältnisse. Drach stand breitbeinig über Selina Fiedler und rührte sich nicht, die Klinge in seiner Hand reflektierte das blasse Mondlicht. Er wartete. Offenbar hoffte er auf irgendeine Fehlfunktion, die sich von selbst beheben würde. Die Unterbrechung schien er gleichmütig hinzunehmen.
Mehrere Sekunden verstrichen, bevor er vorsichtig aus seiner Stellung balancierte und in den Schnee neben das Grab sprang. Keine Taschenlampe. Das Mondlicht genügte ihm offenbar, oder er hatte keine dabei. Er folgte dem Verlauf der Kabel. Er wirkte kein bisschen angespannt, obwohl er noch immer das Skalpell in der rechten Hand hielt. Sein Blick war auf die Kabel am Boden gerichtet.
Jennifer blieb still sitzen, zielte und hielt unwillkürlich die Luft an.
Sie musste Geduld haben. Er sollte mindestens die Hälfte des Weges zum Transporter zurückgelegt haben, bevor sie ihm ins Bein schoss, eine Verletzung, die ihn lange genug außer Gefecht setzen würde, um ihn überwältigen zu können. Sie wollte nicht riskieren, ihn einfach nur zu stellen. Drach war bewaffnet, auch wenn er nicht den Eindruck machte, sich dessen bewusst zu sein. Er sollte keine Gelegenheit bekommen, zu seinem Opfer zurückzukehren und irgendeine Dummheit zu begehen.
Nur noch zwei Meter, ein Meter …
Plötzlich blieb er stehen, hob das Kinn und sah dabei fast wie ein Hund aus, der Witterung aufnimmt.
Sein Gehör war offensichtlich besser als Jennifers, denn sie nahm das leise Geräusch einer sich nähernden Polizeisirene erst eine Sekunde später wahr.
Sie hatte keine Gelegenheit mehr, eine Entscheidung zu treffen, als Jürgen Drach bereits kehrtmachte und losrannte. Jennifer sprang aus ihrer Deckung und brüllte ihm hinterher, er solle stehenbleiben, eine Aufforderung, der er selbstverständlich nicht nachkam. Sie hätte auf ihn geschossen, doch die Grabsteine boten ihm genügend Deckung, sodass sie auf seinen Oberkörper oder seinen Kopf hätte zielen müssen. Das würde sie aber nur dann tun, wenn er der jungen Frau zu nahe kam.
Was er allerdings nicht tat. In dem Moment, als ersichtlich wurde, dass er fliehen wollte und gar nicht erst versuchte, sein Opfer als Geisel zu nehmen, ließ Jennifer die Waffe sinken und rannte ihm hinterher. Sie hatte auf dem Friedhof keine Chance, einen auch nur einigermaßen sicheren Treffer zu landen, also nahm sie die Verfolgung auf.
Drach war verdammt schnell und wendig, sprang mühelos über die niedrige Steinmauer am anderen Ende des Friedhofs und verschwand im Wald. Die dicht stehenden Bäume verschluckten ihn beinahe augenblicklich.
Jennifer folgte ihm, wobei sie sich zeitweise nur noch an sich bewegenden Ästen oder dem schemenhaften Aufblitzen seiner hellblauen Jacke orientieren konnte. Mehr als einmal glaubte sie bereits, ihn verloren zu haben, als sie erneut ein verräterisches Zeichen entdeckte.
Sie war kurz davor, sich einzugestehen, dass sie ihn nicht einholen würde, doch die lauter werdenden Sirenen und das entfernt zwischen den Baumstämmen hindurchdringende Blaulicht weckten ihre Hoffnung. Sie war nicht alleine, auch wenn sie nicht einschätzen konnte, wie viele Einheiten es waren. Olivers Anruf bei Möhring konnte für das Eintreffen dieser Verstärkung jedenfalls nicht verantwortlich sein.
Der Wald schien sich zu einer Lichtung hin zu öffnen, hinter den letzten Bäumen begann das Gelände jedoch abzufallen. Jennifer erinnerte sich an den See, der in der Nähe des Friedhofs in den Karten
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