Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
Schneetreiben, das selbst kurze Fahrten in der Stadt zu einem Abenteuer machte. Die Streu- und Räumfahrzeuge wurden der Schneemassen kaum noch Herr.
Oliver schloss für einen kurzen Moment die Augen und versuchte vergeblich, seine Verärgerung unter Kontrolle zu bekommen. »Zwei Stunden fröhliches Warten auf Zeugen, die offenbar Besseres zu tun hatten, als vor Gericht zu erscheinen, ein hochbezahlter Verteidiger, der sich aufgeführt hat wie in einer amerikanischen Soap, und vom Verkehr will ich gar nicht erst anfangen.«
Jennifer musterte ihn. Instinktiv spürte sie, dass das noch nicht alles war, beließ es aber dabei. Wahrscheinlich neuer Ärger mit Hannah. Sie ließ das Video weiterlaufen.
Oliver konnte sich erst aus seiner brütenden Stimmung reißen, nachdem er sich einen Kaffee geholt und die Tasse zur Hälfte geleert hatte. Er nickte in Richtung des Bildschirms. »Wie weit bist du mit den Aufnahmen?«
Jennifer lehnte sich zurück, ließ das Video jedoch nicht aus den Augen. »Die kritischen Phasen habe ich mir schon angesehen. Larissa Schröder taucht nur zweimal im Kassenbereich auf – bei ihrer Ankunft und als sie gezahlt hat. Die Uhrzeiten, die uns Gallo genannt hat, stimmen. Ich schaue mir gerade noch die Aufzeichnungen des gesamten Abends an, also bevor Larissa eingetroffen und nachdem sie wieder gegangen ist, aber die Kameras decken wirklich nur einen verdammt kleinen Bereich ab.«
»Das war nicht anders zu erwarten.« Oliver suchte ihren Blick. »Bring mich auf den neuesten Stand. Wo stehen wir?«
Die Kommissarin überlegte kurz, womit sie beginnen sollte. »Thomas Kramer und sein Kollege haben die Angestellten und die Nachbarn der Schröders befragt. Ohne Ergebnis. Das Personal hat nichts gesehen, nichts gehört und ergo auch nichts zu sagen. Denen war nicht der Ansatz eines Gerüchtes über das Ehepaar zu entlocken.«
»Was hält Kramer von ihren Aussagen?«, hakte Oliver nach. Der Polizeiobermeister hatte ein Gespür dafür, Lügengeschichten aufzudecken und im Zweifel auch die richtigen Fragen zu stellen. Auf seine Einschätzung war Verlass.
»Er hält sie für glaubwürdig. Ihre Loyalität dürfte zwar teuer erkauft sein, aber sie hatten ohnehin kaum Kontakt zu den Eheleuten. Sascha Schröder bekommen sie eigentlich nie zu Gesicht, und auch Larissa war für sie so gut wie unsichtbar.« Jennifer zuckte die Schultern. »Sie hatten nicht wirklich die Gelegenheit, am Eheleben der Schröders teilzuhaben.« Was Zufall oder durchaus auch gewollt sein konnte. »Die Nachbarschaft hat ebenfalls weder irgendwelche Beobachtungen noch Klatsch beizutragen. Falls es Probleme oder Geliebte gab, haben die Schröders das seltene Wunder vollbracht, dass niemandem etwas aufgefallen ist.« Jennifer brauchte nicht hinzuzufügen, dass das nichts bedeuten musste. Je unscheinbarer die Fassade, desto widerwärtiger waren manchmal die Geheimnisse, die sich dahinter verbargen.
Oliver ahnte, dass auch Jennifers eigene Befragungen keine nennenswerten Ergebnisse geliefert hatten. »Was ist mit Larissas Eltern und ihren anderen Freundinnen?«
»Ihre sogenannten Freundinnen hatten über Larissa nicht besonders viel zu erzählen. Das waren allenfalls oberflächliche Bekanntschaften.« Die drei Frauen waren vom Tod ihrer Freundin zwar geschockt, aber nicht wirklich berührt gewesen. Ganz anders Herr und Frau Tröbst, mit denen Jennifer am Vormittag gesprochen hatte. Sie waren derart aufgewühlt gewesen, dass es eine Ewigkeit gedauert hatte, bis sie auch nur die einfachsten Fragen beantworten konnten. »Ihre Eltern konnten leider nur das bestätigen, was wir ohnehin schon gehört haben: keine Feinde, keine Geliebten, keine Stalker. Niemand, der Larissa hätte schaden wollen.«
Jennifer hielt kurz inne und trank einen Schluck Kaffee, bevor sie hinzufügte: »Unser Täter ist offenbar vor dem Mord nicht in Erscheinung getreten. Zumindest hat Larissa in ihm offenbar weder eine Bedrohung gesehen, noch hat sie sich von ihm belästigt gefühlt.«
»Davon können wir wohl ausgehen.« Der Staatsanwalt nickte beklommen. Es war kein gutes Zeichen, dass sie noch immer ohne ernstzunehmenden Ansatz dastanden. »Irgendwelche guten Neuigkeiten?«
»Katia und Frank haben die notwendigen Informationen für die Pressestelle zusammengetragen.« Jennifer reichte ihm mit einem aufmunternden Lächeln einen Ausdruck. »Unsere Chefs haben den Wortlaut bereits genehmigt.«
Oliver überflog den Dreizeiler und musste unwillkürlich grinsen.
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