Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
von besonderem Interesse oder Können. Sie waren ungeordnet, die Ränder der Mitschriften voller gekritzelter Muster und Kringel, offensichtlich ein Zeichen von Langeweile.
Larissas Absicht, das Studium wiederaufzunehmen, erschien Jennifer in diesem Zusammenhang etwas fragwürdig.
Sie stapelte die Unterlagen an einem Ende der Tischreihe und legte noch ein paar Fachbücher dazu, die thematisch eindeutig zum Studium gehörten. Larissa hatte sie offenbar neu gekauft und nur selten in die Hand genommen, denn Gebrauchsspuren waren kaum zu sehen.
Die junge Frau hatte für das Leben an Sascha Schröders Seite eine Menge aufgegeben, nicht nur ihre Ausbildung. Das zeigten ihre privaten Hinterlassenschaften deutlich. Ihre Interessen hatten sich offenbar verschoben. Vor ihrer Beziehung hatte sie viele Hobbys gehabt, beispielsweise hatte sie gemalt und mit Speckstein gearbeitet. In den Kartons fanden sich einige ihrer Werke. Ihren künstlerischen Bestrebungen war sie aber seit über einem Jahr nicht mehr nachgegangen.
Nur die Liebe zur Fotografie hatte Bestand gehabt. Auf der Festplatte befand sich eine beachtliche Anzahl von digitalen Fotos, die Oliver in diesem Moment sichtete. Larissa Schröder hatte aber auch Alben angelegt und – als diese aus der Mode gekommen waren – Fotobücher drucken lassen.
Jennifer blätterte die einzigen beiden professionell gestalteten Bücher durch: das von der Verlobung und das von der Hochzeit. Die Bilder zeigten eine Vielzahl von Menschen, die alle mit dem glücklich in die Kamera lächelnden Brautpaar abgelichtet worden waren.
»Wir sollten uns von Sascha Schröder eine Liste der Hochzeitsgäste geben lassen«, murmelte sie über den Tisch hinweg. »Ein paar von ihnen machen nicht gerade den Eindruck, als würden sie die Feier genießen.«
Oliver blickte von seinem Notebook auf und nickte. Die Bilder von der Hochzeit lagen in digitaler Form auch auf der Festplatte. »Über ein paar dieser Fotos bin ich ebenfalls gestolpert.«
Jennifer blätterte bis zum Ende des Fotobuchs, dann zog sie sich einen Stapel alter Geburtstags- und Weihnachtskarten heran, sortierte sie nach Datum und überflog den Inhalt.
Sie musste sich zum konzentrierten Arbeiten zwingen, denn ihr entging nicht, dass Oliver sie zwischendurch immer wieder musterte.
Es vergingen fast zehn Minuten, bevor er in die Stille des Raumes hinein sagte: »Darf ich dich etwas fragen?«
Jennifer hielt inne. Bereits sein Tonfall war Warnung genug. Sie wusste, worum es ging. Sie ließ die kitschige Karte sinken und sah auf. »Immer.«
Oliver ließ zwei Sekunden verstreichen, bevor er fragte: »Wieso riskierst du deinen Job für Marcel Meyer?«
Direkt und ohne Umwege. Sie stieß hörbar die Luft aus. »Ich habe meine Gründe.«
»Und die wären?«
»Gründe eben.«
Oliver klappte den Bildschirm seines Notebooks herunter. Eine eindeutige Geste. »Ich würde sie gerne hören.«
Seine Stimme war ruhig, vielleicht zu ruhig.
Trotzdem versuchte sie auszuweichen. »Ich kann verstehen, dass du von seinem Auftritt gestern nicht gerade begeistert bist. Aber ich war abends noch bei ihm. Er wird sich in nächster Zeit vom Präsidium fernhalten.«
»Davon bin ich ausgegangen. Das beantwortet aber nicht meine Frage.« Olivers Tonfall war vollkommen neutral. Dass er sie noch immer direkt ansah, empfand Jennifer als irritierend. Sie führten keine Unterhaltung, er unterzog sie einem verdammten Verhör.
»Darüber möchte ich eigentlich nicht sprechen.«
»Ich aber schon.«
Die Beharrlichkeit des Staatsanwalts machte sie wütend. Sie wollte ihn schon anfahren, ihm sagen, dass ihn das verdammt noch mal nichts anging, als sie erneut seinem Blick begegnete, und ihr Zorn verflog.
Jennifer begriff. Oliver musste wissen, wofür er im Zweifel selbst seinen Kopf hinhielt. Sie hatte sich bisher keine Gedanken darüber gemacht, aber jetzt fragte sie sich, warum er Marcels Alleingang nicht längst gemeldet hatte. Er wäre dazu ebenso verpflichtet gewesen wie sie selbst. Er hatte keinerlei Beziehung zu ihrem Partner, wahrscheinlich konnte er ihn noch nicht einmal ausstehen.
Schlagartig wurde ihr bewusst, dass er keinesfalls Marcel deckte, er deckte sie . Der Preis dafür war allerdings, dass sie ihm erklären musste, warum sie noch immer loyal zu ihrem Partner stand.
»Ich schulde ihm eine Chance«, sagte sie schließlich verstimmt. »Ich habe mich ihm gegenüber mehr als mies verhalten, als ich hier in Lemanshain ankam, und …«
»Mies?«,
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