Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
war. Auf der anderen Seite stand ein grauer Tisch mit vier Stühlen, an dem zwei Jugendliche saßen.
Der Junge hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte feindselig in die Luft. Seiner Kleidung nach zu urteilen machte er einen auf Gangster. Das Mädchen neben ihm fuhr mit dem Fingernagel ihres rechten Daumens imaginäre Muster auf der Tischplatte nach. Sie war zu stark geschminkt, und obwohl sie sich Mühe gegeben hatte, war auf den ersten Blick zu erkennen, dass ihre Eltern weder Geld für Markenklamotten noch für teuren Schmuck hatten.
»Was haben die beiden denn schon alles ausgefressen?«, fragte Jennifer.
»Das Übliche: ihre Mitschüler abgezogen, Diebstähle, Prügeleien, Beamtenbeleidigung.« Paschold zuckte die Schultern. Er hatte sich längst daran gewöhnt, mit jugendlichen Gewohnheitskriminellen zu tun zu haben. »Sie sitzen hier in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen. Nur dass sie die Habseligkeiten von Mordopfern auf dem Schulhof verscherbeln, das ist neu.«
Und mehr als überraschend. Jennifer hatte Oliver zuerst gar nicht glauben wollen, dass Larissa Schröders Einkäufe und die Kleidung, die sie am Tag ihrer Ermordung getragen hatte, auf einem Offenbacher Schulhof aufgetaucht waren. Die Kreisstadt lag im Rhein-Main-Gebiet, gut fünfzig Kilometer westlich von Lemanshain, und grenzte direkt an Frankfurt. Doch die Kollegen hatten ihren Fund sehr sorgfältig mit den von Katia erstellten Datenbankeinträgen verglichen, bevor die Staatsanwältin in Lemanshain angerufen hatte.
Paschold deutete auf einen Tisch, der einen Großteil des Raumes einnahm. »Das sind die Sachen, die wir sichergestellt haben. Alles bereits erfasst und katalogisiert. Die Details der Übergabe hat Staatsanwältin Weidenbach ja mit Ihnen geklärt. Die Formulare habe ich auf dem Schreibtisch.«
Oliver und Jennifer traten näher und sahen die in durchsichtige Beweismitteltüten verpackten Kleidungs- und Schmuckstücke oberflächlich durch. Es gab keinen Zweifel. Es waren Larissa Schröders Habseligkeiten, und sie schienen vollständig zu sein.
Nur von den Ohrhängern, die sie getragen hatte, als sie ihrem Mörder begegnet war, fehlte einer. Jennifer hielt die Beweismitteltüte hoch. »Haben die beiden etwas zu dem fehlenden Ohrring gesagt?«
Paschold nickte. »Sie behaupten, es hätte nur diesen einen gegeben. Angeblich haben sie es nicht geschafft, auch nur ein Teil zu verkaufen. Könnte gelogen sein, sie hatten allerdings auch keine größeren Mengen Bargeld dabei.«
Was bedeuten konnte, dass der Ohrhänger irgendwann verlorengegangen war. Die Frage war nur, ob vor oder nach der schicksalhaften Begegnung, die Larissa Schröder das Leben gekostet hatte. Vielleicht sagten die Kids aber auch nicht die Wahrheit. Der Schmuck war aus Gold gefertigt, und in das Metall waren hochkarätige Diamanten eingelassen. Ein Pfandleiher oder Goldschmied würde auch ein Einzelexemplar nehmen.
»Irgendeine Spur von dem Auto?«, wollte Grohmann wissen.
Der Kommissar schüttelte den Kopf. »Bisher noch nicht. Mein Partner versucht derzeit, die Typen zu ermitteln, die sich den Mercedes angeblich unter den Nagel gerissen haben.«
Oliver tauschte einen Blick mit Jennifer. Sie kannten die Aussage, die die Jugendlichen gegenüber den Offenbacher Kollegen gemacht hatten. Die Staatsanwältin hatte ihnen sofort nach ihrem Anruf Kopien der Vernehmungsprotokolle gefaxt. Trotzdem wollten sie den beiden noch einmal persönlich auf den Zahn fühlen.
»Haben Sie ihnen schon gesagt, was Sache ist?«, fragte Jennifer.
»Nein«, entgegnete Paschold. »Diese Ehre wollte ich Ihnen überlassen.«
Die Kommissarin nickte zufrieden, dann deutete sie auf die Tür, die in den Verhörraum führte. »Nach dir.«
Die beiden Jugendlichen hoben die Köpfe, als die Ermittler eintraten. Der Blick des Jungen wurde noch feindseliger, und auch das Gesicht des Mädchens verfinsterte sich augenblicklich. Jennifer und Oliver setzten sich ihnen gegenüber und musterten sie unverhohlen, was nach einigen Sekunden zumindest bei dem von Akne geplagten Jungen leichte Anzeichen von Nervosität hervorrief.
Grohmann blätterte betont desinteressiert in der Mappe, die Jennifer ihm überlassen hatte. Neben ein paar Fotos und den Vernehmungsprotokollen beinhaltete sie einige Blätter, die mit wahllosen Informationen bedruckt waren und lediglich dazu dienten, den Jugendlichen den Eindruck zu vermitteln, dass die Beamten bestens über sie Bescheid wussten.
Aus einem
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