Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
euch also euer Leben vor? Für die nächsten vierzig oder fünfzig Jahre? Abhängig von einem Staat, der jederzeit die Regeln ändern und über euch bestimmen kann? Bodensatz der Gesellschaft, Unterschicht? Das ist euer Ziel? Viel Spaß dabei.«
Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ den Verhörraum.
Einige Stunden später stand Jennifer vor dem Whiteboard in ihrem Büro und ließ den Blick über das Schaubild schweifen, in dessen Mitte der Name des Opfers stand. Von Larissa Schröder ausgehend hatte sie im Laufe der Woche mehrere Linien gezogen und mögliche Verdächtige und Zeugen notiert. Es waren einige Namen hinzugekommen, genauso viele hatte die Kommissarin wieder durchgestrichen, darunter auch Paul Kiesow. Larissas ehemaliger Kommilitone hatte die junge Frau lediglich gemocht, Zweifel an seiner Homosexualität bestanden keine.
Sie hatten niemanden ermitteln können, der als Täter auch nur entfernt infrage kam. Weder im Freundes- und Familienkreis der Schröders noch im weiteren Umfeld. Mit Hilfe von Oliver, Katia und Frank hatte Jennifer am Donnerstag Dutzende Personen befragt, darunter die Gäste der Modenschau in Gallos Boutique und ehemalige Mitstudenten von Larissa. Sie hatten sogar die Überwachungsvideos der bevorzugten Clubs von Larissa und ihren Freundinnen angefordert und durchforstet.
Es gab keinerlei Hinweise auf einen Stalker oder Liebhaber. Weder auf Seiten von Larissa noch auf der ihres Ehemanns.
Nichts.
Sie waren jeder noch so kleinen Spur gefolgt, doch noch immer hatten sie keinen vielversprechenden Ansatz. Larissas Mörder war ein gesichtsloses Phantom. Sie tappten im Dunkeln.
Ihre Hoffnung auf einen Durchbruch konzentrierte sich jetzt auf die am Morgen sichergestellten Beweisstücke. Nachdem sie aber bereits durch mehrere Hände gegangen und die Kleidung von den Jugendlichen noch dazu gewaschen worden war, waren die Aussichten auf brauchbare Fingerabdrücke oder andere Spuren eher gering.
Jennifer war erschöpft und resigniert. Ihr Hochgefühl vom Morgen war bereits auf der Rückfahrt von Offenbach nach Lemanshain verflogen.
Der Mercedes war verschwunden. Ob sie das Auto finden würden und falls ja, in welchem Zustand, war ungewiss.
Am meisten beschäftigte sie aber die Tatsache, dass der Fund von Larissas Kleidung ihre gesamten bisherigen Annahmen auf den Kopf gestellt hatten.
Jennifer war so tief in Gedanken versunken, dass sie Oliver erst bemerkte, als er sie am Arm berührte. Irritiert sah sie auf die Uhr. Sie hatte über eine Stunde lang auf das Schaubild gestarrt und vergeblich versucht, die vor ihr liegenden Puzzleteilchen irgendwie logisch zusammenzusetzen.
»Schon zurück?«, fragte sie, als sich der Staatsanwalt hinter Marcels verwaisten Schreibtisch setzte.
»Ich habe die wichtigsten Sachen erledigt. Alles andere hat bis Montag Zeit.« Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und ließ den Blick von Jennifer zum Whiteboard und wieder zurück schweifen. »Hast du schon überprüft, ob irgendjemand auf unserer Liste Verbindungen nach Offenbach hat?«
Jennifer schüttelte abwesend den Kopf.
»Immerhin können wir unsere Liste mit dem erweiterten Personenkreis einer gewissen Sortierung unterwerfen, bevor wir mit den Vernehmungen beginnen. Nach Offenbach sind es fünfzig Kilometer. Und der Kerl muss vorher gewusst haben, wo er das Auto abstellen kann, um es loszuwerden.«
Jennifer nickte nur.
Da alle bisherigen Ansätze versandet waren, hatten sie am Abend zuvor beschlossen, tiefer in die Vergangenheit ihres Opfers vorzudringen. Sie wollten Personen überprüfen, die schon länger nichts mehr mit Larissa zu tun gehabt hatten, und allen ihren Exfreunden und -liebhabern einen Besuch abstatten.
Jetzt war Jennifer sich allerdings nicht mehr sicher, ob das eine brauchbare Vorgehensweise war.
Sie grübelte noch eine Weile schweigend vor sich hin, bevor sie murmelte: »Er hat sie mit Diazepam betäubt. Die Dosis war hoch genug, um sie mehrere Stunden lang abzuschießen. Wenn er sie gekannt hätte, wäre das nicht notwendig gewesen, oder?«
Oliver versuchte ihrem Gedankengang zu folgen. Professor Meurer hatte am Tag zuvor die Ergebnisse der Laboruntersuchungen erhalten. Larissa Schröder war mit einem gängigen verschreibungspflichtigen Beruhigungsmittel betäubt worden. Sie gingen davon aus, dass der Täter ihren Champagner im »Coco & Giorgio« damit versetzt hatte. Es war eine weitere Spur, die sich noch als nützlich erweisen konnte, allerdings erst dann, wenn
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