Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
zerstören. Er könnte die Herzen aufbewahren, in einer Tiefkühltruhe oder konserviert in einem entsprechenden Mittel. Ebenso gut könnte er sie aber auch vernichten, verbrennen, zerhacken, was auch immer … oder sogar essen.«
Jennifer gefielen die Bilder nicht, die die Worte des Psychopathologen direkt in ihre Vorstellung projizierten. »Wer käme auf die Idee, sich Gefühle … anzueignen?«
»Jemand, der sie selbst nicht empfinden kann, oder jemand, der diese Gefühle nie von anderen Menschen empfangen hat.«
»Also doch ein Soziopath?« Grohmann war verwirrt.
»Mitnichten. Ein echter Soziopath wäre sich des Fehlens seiner Gefühle nicht unbedingt bewusst. Soziopathen können mit Gefühlen und ihren vielfältigen Erscheinungsformen nicht umgehen, meistens machen sie ihnen sogar Angst.«
»Was wiederum zum Zerstören passen würde.«
»Eventuell ja. Aber es gibt sehr viele Möglichkeiten. Er könnte sich auch selbst in seinen Gefühlen gespalten fühlen. Vielleicht leidet er an Schizophrenie und handelt im Auftrag einer höheren Macht. Oder er ist psychotisch und sieht sein Tun als Kunst an.« Doktor Rabe schüttelte den Kopf und warf seine Brille auf den verrutschten Papierstapel. »Ich kann Ihnen kein sauber gezeichnetes Bild geben, nicht zu diesem Zeitpunkt, nicht mit den vorliegenden Informationen.«
Die beiden Ermittler ließen diese Aussage einen Moment lang auf sich wirken. Sie hatten gewusst, dass der Doktor ihnen kein Profil auf dem Silbertablett servieren konnte. Ein breiter Fundus von Möglichkeiten war allerdings besser als überhaupt keine Vorstellung.
»Wieso stellt er die Leichen aus?«, hakte Jennifer nach.
»Es könnte eine Botschaft sein. Die Frage ist nur, an wen. An die Öffentlichkeit, die Polizei, eine bestimmte Person?« Rabe schüttelte den Kopf. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber es wäre ein brauchbarer Ansatz für Ihre Ermittlungen.«
»Mit welcher Art von Mensch haben wir es zu tun?«, fragte die Kommissarin weiter, obwohl sie Rabes Antwort unbefriedigend fand. »Nach wem suchen wir?«
Der Psychologe zuckte die Schultern. »Ich kann Ihnen eigentlich nichts sagen, was über Ihre eigenen Schlussfolgerungen hinausgeht. Wenn Sie es mit einem Einzeltäter zu tun haben, entspricht er eher dem Durchschnitt, insbesondere was seine Bildung und seine Intelligenz angeht. Die Zitate, die er gewählt hat, lassen nicht gerade auf ein Genie schließen. Er hat genommen, was er recht schnell und ohne großen Aufwand finden konnte, und hat die Zitate teilweise sogar für seine Zwecke entstellt. Er ist also kein vollendeter Perfektionist.«
»Oder er hat es eilig«, gab Grohmann zu bedenken.
»Eilig dürfte er es in jedem Fall haben. Er hat seine Taten geplant, seine Opfer zuvor ausgewählt und im ersten günstigen Moment zugeschlagen.«
»Wenn er es eilig hat, wird er Fehler begehen«, sagte die Kommissarin. Eine Feststellung, die leider nicht annähernd so beruhigend klang, wie sie gehofft hatte.
»Wenn er weiterhin in derart kurzen Abständen mordet, ist es in der Tat wahrscheinlich, dass ihm irgendwann Fehler unterlaufen, sie werden aber vermutlich nicht sein Ritual betreffen«, erwiderte Rabe. »Er geht Risiken ein, wird jedoch mit Sicherheit versuchen, mögliche Flüchtigkeitsfehler zu kompensieren. Wie die meisten anderen Serienmörder will er nicht gefasst werden, zumindest nicht, solange sein Werk nicht vollendet ist.«
»Das heißt, Sie glauben, dass er wieder töten wird«, stellte Grohmann fest. »Und zwar sehr bald.«
»Sie müssen davon ausgehen, ja. Ganz gleich, ob Sie es mit einem Einzeltäter oder einer Gruppierung zu tun haben. Es existiert ein Plan, der durchdacht ist und dessen Durchführung bereits gewissenhaft vorbereitet wurde. Wenn weitere Opfer vorgesehen sind, stehen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar schon fest.«
Das war keine Neuigkeit; die Tatsache laut ausgesprochen zu hören empfand Jennifer trotzdem als sehr unangenehm.
Sie unterbrach schließlich das entstandene Schweigen. »Wenn es um Gefühle geht – oder Gefühlspaare wie Liebe und Hass –, was haben wir dann zu erwarten?«
»Von einer Paarung sollten Sie auch zukünftig ausgehen«, erklärte der Psychiater. »Welches Paar das nächste sein wird – und welche Gefühle überhaupt auf der Liste stehen –, kann ich Ihnen nicht sagen. Bedenkt man sein Vorgehen bei der Wahl der Zitate, könnte das Internet eine Hilfe sein.«
»Ein Werk, eine Liste?« Der Staatsanwalt schüttelte den
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