Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
den Motor und fuhr los, hielt sein Schweigen jedoch nur bis zur nächsten roten Ampel aus. »Wie lief dein Termin?«
Olivers erste Reaktion war ein genervtes Aufstöhnen. Sie rechnete bereits damit, dass er sie vertrösten würde, als er endlich mit der Sprache herausrückte: »Scholz ist zufrieden mit unserer Arbeit, allerdings nicht mit den bisherigen Ergebnissen, wie du dir sicher vorstellen kannst. Vor allem passt es ihm nicht, dass wir den anonymen Anrufer noch immer nicht gefunden haben.«
Jennifer seufzte. »Alles, was wir haben, ist der Spitzname eines Obdachlosen, der normalerweise in dem Gebäude haust, aber bereits seit Wochen nicht mehr gesehen wurde. Ich habe alle Unterkünfte abtelefoniert, die zuständigen Beamten haben den Hafen durchkämmt. Ich glaube nicht, dass wir denjenigen, der über die Leiche gestolpert ist, noch finden.«
»Das habe ich ihm auch gesagt, er meint aber, wir sollten dranbleiben, denn es könnte sich um einen wichtigen Zeugen handeln.« Oliver schüttelte den Kopf. »Das war aber nicht der einzige Grund für seine miese Laune … Er könnte die Hanauer Kollegen in Stücke reißen.«
Jennifer blinzelte. »Wieso das?«
Der Staatsanwalt zog einen ziemlich mitgenommenen Zeitungsausschnitt aus seiner Jackentasche und hielt ihn ihr hin. Der Mord an Cedric Mattes hatte es auf die Titelseite der Hanauer Tageszeitung geschafft. Gerne hätte sie den Artikel gelesen, der gut ein Drittel der Seite einnahm, das Hupen hinter ihnen wies sie allerdings darauf hin, dass die Ampel zwischenzeitlich umgeschaltet hatte.
Dass ein Mordfall Titelstory wurde, war nichts Ungewöhnliches. Das allein konnte Oliver und seinem Chef unmöglich derart die Laune verdorben haben. »Klär mich auf.«
»Unser Freund von der Hanauer Staatsanwalt hat gestern Abend die Presse umfassend informiert – ohne Absprache oder Vorankündigung. Ihm lag vor allem daran zu betonen, dass der Leichenfund im Hafen in Zusammenhang mit unserem Mordfall steht und wir deshalb für die Ermittlungen zuständig sind.«
Jennifer stöhnte auf. Das bedeutete Aufmerksamkeit – von Seiten der Öffentlichkeit, der Presse und des politischen Apparats von Lemanshain. Spätestens ab dem Nachmittag würden die Telefone nicht mehr stillstehen und die ersten Journalisten den Haupteingang des Präsidiums belagern. »Na bravo. Jetzt wird es also richtig gemütlich.«
Oliver nickte, seine Verärgerung war ihm immer noch deutlich anzumerken. »Das werden wir sehen, aber ich rechne fast schon mit dem Schlimmsten. Allerdings war der Kollege so nett, die Sache mit den Herzen nicht auszuplaudern. Diese Insiderinformation hat er uns wenigstens gelassen.«
»Immerhin.« Ein schwacher Trost. Jennifer erinnerte sich noch gut an den Medienrummel, den ihr erster großer Fall in Lemanshain anfangs ausgelöst hatte. Es hatte Tage gegeben, an denen sie mehr damit beschäftigt gewesen war, den Reportern aus dem Weg zu gehen als ihre eigentliche Arbeit zu tun.
Noch konnten sie sich auf einen vagen Zusammenhang herausreden. Noch konnten sie von einem Doppelmord sprechen.
Wenn ihre schlimmsten Befürchtungen zutrafen, würde diese Hoffnung nach ihrem Termin mit dem Psychologen jedoch vom Tisch sein.
Jennifer unterdrückte ein Gähnen und warf einen Blick auf das Display ihres Handys. Sie warteten schon fast eine halbe Stunde, dabei waren sie pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt erschienen. Wenn Doktor Rabe nicht bald auftauchte, würde sie Freya anrufen müssen, um einige Vernehmungen nach hinten zu verschieben.
Oliver Grohmann saß neben ihr vor dem ausladenden Schreibtisch des Doktors und ließ seinen Blick zum wiederholten Mal von den mit Büchern vollgestopften Regalen über die chaotische Ansammlung von Klausuren und Notizen auf der Schreibtischplatte bis zum Fenster schweifen. Die Aussicht war nicht besonders einladend: unansehnliche Universitätsgebäude, die in ihrer Tristheit mit dem Dunkelgrau des morgendlichen Himmels konkurrierten. »Nimmt er es mit seinen Terminen immer so genau?«, seufzte der Staatsanwalt.
Jennifer antwortete nicht. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, gegen ihre Müdigkeit anzukämpfen, die sie in der Stille des Raumes zu überwältigen drohte. Das Wochenende war lang gewesen. Seit dem Leichenfund am Samstagmorgen hatten sie Leben und Umfeld des zweiten Opfers komplett auf den Kopf gestellt und vergeblich nach einer Verbindung zu Larissa Schröder gesucht. An Schlaf hatten sie sich nur das Allernötigste
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