Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
Tochter war er sich aber einfach nicht sicher.
Auf dem gesamten Weg zum Polizeipräsidium grübelte er vor sich hin, legte jedes ihrer Worte, jede noch so kleine Reaktion von ihr auf die Goldwaage, kam allerdings zu keinem Ergebnis.
Der Anblick der Horde Pressevertreter, die vor dem Gebäude campierte, lenkte ihn schließlich erfolgreich von seinen Gedankenspielen ab. Fast die gesamte Treppe vor dem Haupteingang war besetzt, und selbst auf dem Bürgersteig standen und saßen Journalisten, in den Gesichtern eine Mischung aus Entschlossenheit und Geduld.
Wie erwartet, hatten nach dem Artikel vom Montag ein paar Reporter versucht, von der Staatsanwaltschaft weitere Informationen über die Morde an Larissa Schröder und Cedric Mattes zu bekommen. Sie hatten sich allerdings mit der Standardauskunft zufriedengegeben, dass die beiden Tötungsdelikte miteinander in Verbindung ständen, man aber noch mitten in den Ermittlungen stecke und nichts Definitives sagen könne. Derzeit gehe man von einem Doppelmord aus.
Sie hatten die Lüge ohne Nachfragen geschluckt. Damit war es jetzt offensichtlich vorbei. Wenn während Olivers Abwesenheit nicht irgendeine andere weltbewegende Tat geschehen war, musste die Pressemeute wegen ihres Falls hier sein. Was nur bedeuten konnte, dass irgendjemandem das Wort Serienmörder herausgerutscht war, das unweigerlich auslöste, was sie am wenigsten gebrauchen konnten: Hysterie.
Wenigstens belagerten die Pressevertreter noch nicht die Einfahrt zum Hinterhof, wo er sein Auto abstellte und anschließend unbehelligt das Gebäude durch den Hintereingang betrat.
Eigentlich hatte er sich vorgenommen, nur kurz bei der Kripo vorbeizuschauen, um sich von Jennifer auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Da er keinen Anruf und auch sonst keine Nachricht erhalten hatte, hatte er nicht mehr als eine kurze Zusammenfassung über die laufenden Ermittlungsarbeiten erwartet. Dabei würde es aber wohl auf keinen Fall bleiben.
Als Oliver den Empfangsbereich betrat, sagte ihm bereits Freya Olssons Blick, dass die Lage noch dramatischer war, als er vermutet hatte. Wortlos schob sie ihm die aktuelle Ausgabe des Hanauer Anzeigers über den Tresen hinweg zu. Die Schlagzeile »Serienkiller im Spessart!« sprang ihn förmlich an.
Der Text unter der Schlagzeile war für die Zeitung eigentlich zu reißerisch. Der Verfasser strich die Verbindung zwischen den beiden Morden heraus und nannte die bisherigen Auskünfte der Staatsanwaltschaft »eine Sammlung gewohnheitsmäßiger Lügen«. Die Forderung nach umfassender Aufklärung der Öffentlichkeit hatte einen aggressiven Unterton. Gleich zweimal wurde darauf hingewiesen, dass der Täter offensichtlich von Lemanshain aus operiere, ohne dass für diese Behauptung irgendwelche Belege oder eine Quelle genannt wurden.
Der Text war mehr als geeignet, die Bevölkerung aufzuschrecken und für Unruhe zu sorgen. Offenbar begann nun die übliche Hetze gegen die Ermittlungsbehörden. Aber noch bewegte sich alles im gewohnten Rahmen.
Beim letzten Satz sog Oliver allerdings hörbar die Luft ein: »Lesen Sie den Gastbeitrag unseres Lemanshainer Kollegen R. Pohl auf Seite 2.« Rafael Pohl war der penetranteste Reporter, der dem Staatsanwalt in seiner gesamten bisherigen Laufbahn begegnet war, bekannt für seine reißerischen, nicht immer der Wahrheit entsprechenden Artikel, die allein dem Zweck dienten, ihren Verfasser für eine größere Zeitung zu empfehlen. Offenbar war er seinem Ziel einen guten Schritt näher gekommen.
Oliver hatte bereits eine Ahnung, in welche Richtung der Gastbeitrag gehen könnte. Er blätterte um und sah seine schlimmste Befürchtung bestätigt. Zuerst entdeckte er ein unscharfes Foto von Jennifer, dann die Überschrift: »Die mit den Bestien tanzt.« Er murmelte einen undeutlichen Fluch. Der Artikel zielte persönlicher auf die Kommissarin ab, als er erwartet hatte, und enthielt nichts als Übertreibungen und verdrehte Tatsachen.
In einem Absatz trieb Pohl seine Anwürfe auf die Spitze: »Seitdem sie in unsere friedliche, beschauliche Heimat gekommen ist, explodiert die Zahl der Gewaltverbrechen. Jennifer Leitner hat Mord und Totschlag nach Lemanshain gebracht. Sie zieht das Böse geradezu an. Das diabolische, kranke, ultimative Böse.«
Oliver war außer sich vor Wut. Zwischen zusammengebissenen Zähnen presste er hervor: »Wen hat dieser Scheißkerl bestochen, um es mit so einem Dreck in die Hanauer Tageszeitung zu schaffen?! Hat er vor, mit dieser
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