Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
seine Lippen. Was ihr im ersten Moment gefiel, weil es Interesse signalisierte, war ihr im nächsten Moment allerdings schon wieder unangenehm.
Sie hob die Tasse an die Nase und atmete den wohltuenden Duft ein. »Was ist das für eine Sorte?«, fragte sie schließlich, ohne Jesaja anzusehen. Sie spürte seinen Blick noch immer auf sich ruhen.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er antwortete. »Rooibos Mandel-Marzipan. Mit einer kleinen Geheimzutat.«
Hannah war versucht, nach dieser Zutat zu fragen, doch seine Antwort würde vermutlich nur aus der Aufforderung bestehen, zu kosten und sich selbst ein Bild zu machen. Sie nippte an dem Tee und setzte sich überrascht auf. »Alkohol?«, fragte sie irritiert.
»Ein kleiner Schuss Amaretto zum Aufwärmen.« Er bemerkte, dass sie nicht allzu begeistert war. »Ich hoffe, das ist in Ordnung?«
Eigentlich war es das nicht. Er hätte sie fragen sollen. Dann erinnerte sie sich daran, dass sie am Montag auch keine besonderen Einwände erhoben hatte, als es um das Bier gegangen war. Woher hätte er wissen sollen, dass sie sich an einem kleinen Schuss Likör im Tee stören würde? Auch wenn es nicht unbedingt eine geringe Menge war, die er dem Getränk zugesetzt hatte.
Sie schluckte ihren ersten Anflug von Verärgerung hinunter. Sie wollte nicht zickig erscheinen. »Kein Problem«, murmelte sie mit einem Lächeln und nippte erneut an dem Tee.
»Wenn du möchtest, kann ich dir eine neue Tasse machen«, bot Jesaja sofort an.
Doch sie schüttelte den Kopf. Vorsichtig würde sie allerdings sein müssen, denn sie hatte noch nichts gegessen. Bereits jetzt breitete sich die Hitze in ihrem Körper aus und schoss ihr in die Wangen.
Jesaja zögerte noch einen Moment, dann setzte er sich neben sie auf das Sofa. Sie konnte seine Körperwärme spüren. Der Abstand war respektabel. Und doch zu groß. Hannah lehnte sich zurück, die Tasse mit beiden Händen umklammernd. Erst jetzt merkte sie, dass leise Musik lief. Ein dunkles, melancholisches Stück, wie von Jesaja nicht anders zu erwarten.
Mehrere Minuten lang saßen sie schweigend nebeneinander. Hannah wusste nicht, was sie sagen sollte, und war froh, als er endlich das Gespräch eröffnete.
»Es ist sehr schön, dass du hier bist. Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest.«
»Wieso?«, fragte Hannah.
»Na ja, ich könnte mir vorstellen, dass es deinem Vater nicht recht wäre …«
»Der hat im Moment wegen seiner Arbeit ganz andere Sorgen.« Sie spürte, wie sich ihre Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen, als sie an die SMS dachte, die ihr Vater ihr vor nicht einmal einer Stunde geschickt hatte. »Und wohl auch wegen seiner Kollegin.«
»Dein Dad bandelt mit einer Kollegin an?«, fragte Jesaja überrascht.
»Keine Ahnung … Er geht mit ihr heute Abend was essen, obwohl er eigentlich vorhatte, Schlaf nachzuholen, was ehrlich gesagt dringend notwendig wäre. Angeblich ist es aber kein Date.«
»Hört sich für mich nach einer Ausrede an«, meinte Jesaja.
Hannah nickte, bevor sie einen weiteren Schluck Tee trank. »Jep.«
In Jesajas Augen trat ein Ausdruck, der schelmisch und lauernd zugleich wirkte. »Du hast ihm nicht erzählt, dass du hier bist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Weil es ihn nicht interessieren würde?«
»Das eher nicht.« Es würde ihn wahrscheinlich sogar brennend interessieren. Wenn er wüsste, wie alt der »Junge« war, mit dem sie sich traf, würde er vermutlich sogar ausrasten. »Er hat einfach zu viel zu tun …«
»Er kümmert sich nicht besonders um dich«, mutmaßte Jesaja.
»Ich lasse nicht zu, dass er sich um mich kümmert.« Hannah zuckte die Schultern. Auf einmal spürte sie, wie eine tiefe Traurigkeit in ihr aufstieg. Offenbar machte es ihr doch mehr aus, als sie gedacht hatte, dass sie ihrem Vater nicht zeigen konnte, wie sehr sie sich nach einem vertrauensvollen Umgang mit ihm sehnte. Sie verstand sich selbst nicht mehr und wollte nicht, dass Jesaja ihren Gefühlstumult mitbekam. Er sollte sie nicht für ein kleines, verwirrtes Mädchen halten.
»Du machst manchmal einen irgendwie einsamen und traurigen Eindruck auf mich.«
Verdammt. Es war ihr also doch anzusehen. »Halb so wild«, wiegelte sie ab.
»Du hast noch gar nicht erzählt, warum du eigentlich zu deinem Vater gezogen bist«, erwiderte Jesaja sanft. »Deine Mutter und ihr Freund sind eine Sache. Aber das ist doch bestimmt nicht alles, oder?«
Hannah wollte eigentlich nicht darüber reden. Anstatt zu
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