Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
antworten, hielt sie sich an der Tasse fest und trank mehrere Schlucke. Die Hitze breitete sich immer stärker in ihrem Körper aus.
»Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht möchtest. Ich dachte nur, du bräuchtest vielleicht jemanden, der dir zu hört …«
Eigentlich brauchte sie tatsächlich jemanden. Sie hatte bisher mit niemandem über alle Gründe gesprochen, aus denen sie Kassel den Rücken gekehrt hatte und ausgerechnet zu ihrem Vater geflüchtet war, den sie jahrelang nicht gesehen hatte.
»Die Leute, von denen ich eigentlich dachte, dass sie meine Freunde wären, haben sich gegen mich verschworen«, platzte es aus ihr heraus.
»Was ist passiert?«, fragte Jesaja sanft.
Hannah trank den Rest des Tees und starrte auf den dunklen Fernsehbildschirm, der dem Sofa gegenüber stand. »Wir waren beste Freundinnen, Cornelia, Sandra und ich. Zumindest dachte ich das. Bis dann dieser Junge auftauchte, für den wir uns alle interessierten und mit dem ich schließlich zusammenkam. Auf einmal war es nicht mehr in Ordnung, wenn ich mir ungefragt dasselbe Oberteil gekauft habe wie Cornelia oder Sandra. Oder wenn ich mal schnell die Hausaufgaben vor der ersten Stunde abschreiben wollte. Wenn ich Ärger mit meiner Mutter oder einem Lehrer hatte, gaben sie hämische Kommentare ab, anstatt mich zu trösten. Und dann fingen die Verleumdungen an. Jeder hat ihnen den Mist geglaubt, den sie über mich erzählt ha ben …«
»Und deine Mutter war nicht für dich da.«
Hannah versuchte vergeblich, die Tränen zurückzuhalten. Sie wollte nicht heulen, verdammt noch mal! »Sie und ihr Lover waren zuvor schon kaum zu ertragen, aber dann …«
»Sie haben dir ziemlich wehgetan. Deine Freundinnen und deine Mutter.«
Hannah konnte nur noch nicken. Sie ließ den Tränen jetzt freien Lauf.
Jesaja streichelte ihr sanft über den Arm, sagte jedoch nichts.
»Es tut mir leid …«, stammelte Hannah.
»Schon okay.« Er nahm ihr die leere Tasse aus der Hand und stellte sie auf den Couchtisch. »Mädchen in dem Alter können verdammt fies sein.« Er legte einen Arm um sie. Erst drückte er sie nur leicht an sich, dann zog er sie in eine richtige Umar mung.
Hannah vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Der Damm war gebrochen. Es dauerte mehrere Minuten, bis sie sich wieder beruhigte. Sie drehte den Kopf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, blieb aber an Jesaja gelehnt sitzen. Er spendete ihr Trost. Einfach nur, weil er da war und ihr zugehört hatte.
Trotzdem war ihr der Ausbruch unangenehm. »Ich wollte nicht …«
Er brachte sie zum Schweigen, indem er ihr einen Finger auf die Lippen legte. »Es gibt keinen Grund, sich zu schämen. Erst recht nicht wegen etwas, das dir ein paar unreife Gören angetan haben. Und dazu zähle ich im Moment auch ganz klar deine Mutter.«
Der Vergleich brachte sie gegen ihren Willen zum Lächeln. Eine unreife Göre. Genauso verhielt sich ihre Mutter im Moment.
»Wichtig ist nur, dass es dir jetzt besser geht.«
Sie nickte, obwohl er sie nicht explizit gefragt hatte. Sie fühlte sich tatsächlich besser. Nicht nur, weil sie ihren Kummer zum ersten Mal offen hatte zeigen können, sondern auch, weil er sie noch immer im Arm hielt. Und ihr tief in die Augen sah, als sie sich ihm zuwandte.
Jesaja hatte seine Hand ein Stück zurückgezogen, näherte sich nun aber wieder ihrem Gesicht. Er schien zu zögern, wagte es dann jedoch, ihr über die Wange zu streicheln. »Ich hoffe, dass dir nie wieder jemand derart wehtut. Das hast du einfach nicht verdient.«
Hannah lief ein angenehmer Schauer den Rücken hinunter. Sie wollte sich von seinen Augen losreißen, konnte es aber nicht.
»Ich hab dich sehr gern, Hannah«, flüsterte Jesaja. Er zog sie zu sich heran. Noch ehe sie die Möglichkeit hatte, darüber nachzudenken, ob sie es wollte oder nicht, küsste er sie.
Seine Lippen waren angenehm weich, die Berührung zärtlich. Sie erwiderte seinen Kuss erst zurückhaltend, dann entschlossener.
Als er sie auf das Sofa niederdrückte und seine Zunge zwischen ihre Lippen stieß, verkrampfte sie sich zuerst, und Zweifel bäumten sich in ihr auf, doch dann ließ sie sich wieder fallen und gab sich seinen leidenschaftlichen Küssen hin. Irgendwann begann er sie zu streicheln. Ihre Wangen, ihre Arme, ihren Hals. Stunden schienen zu vergehen, in denen er sich immer weiter vorwagte und schließlich unter ihren Pullover fand.
Benebelt und von ihrem eigenen Begehren mitgerissen, ließ sie ihn
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