Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
gesprochen.«
Oliver tauschte einen kurzen Blick mit Jennifer, bevor er erneut fragte: »Wir können also mit ihm sprechen?«
Lohaus hatte inzwischen besser in die Situation hineingefunden und verstand, worauf der Staatsanwalt hinauswollte. »Es gibt keine behördliche, ärztliche oder richterliche Verfügung, die Ihnen das verbieten würde. Ich zeige Ihnen gerne sein Zimmer.« Der Anwalt blickte auf die Fotos, die wieder auf dem Tisch lagen. »Vielleicht bringt ihn das ja zum Reden. Auch wenn ich ehrlich gestanden hoffe, dass der Absender einfach nur den falschen Wilfried Mertens erwischt hat.«
Weder Jennifer noch Oliver hatten so recht glauben wollen, dass ein geistig und psychisch vollkommen gesunder Mensch sich tatsächlich freiwillig dazu entscheiden konnte, nicht mehr mit seiner Umwelt zu kommunizieren – und dass es ihm dann auch noch gelang, das durchzuhalten. Doch Wilfried Mertens belehrte sie eines Besseren.
Das Zimmer des Achtundsiebzigjährigen war gerade groß genug, um einem Schrank, einem Bett sowie einem kleinen Tisch mit Stuhl Platz zu bieten und als einigermaßen altengerecht durchzugehen. Der Raum wirkte ähnlich trostlos wie das gesamte Interieur des Heims. Bis auf ein Regal, das mit medizinischer Fachliteratur aus dem Gebiet der Neurologie und Neuropsychiatrie gefüllt war, fehlte jede persönliche Note.
Als sie eintraten, saß Mertens am Tisch und las in einer Tageszeitung. Er reagierte weder auf die sich öffnende Tür noch auf die beiden Besucher, die ihn höflich begrüßten und sich vorstellten. Stattdessen hob er mit leicht zitternder Hand seine Teetasse und trank einen Schluck.
Es gab nur diesen einen Stuhl, und der Platz war begrenzt, weshalb Oliver sich erst in Mertens Blickfeld stellte und schließlich in die Hocke ging. »Herr Mertens?« Ein Blinzeln verriet, dass der alte Mann ihn wahrnahm, auch wenn er ihn weiterhin ignorierte. In seinem zerschlissenen Morgenmantel sah Mertens gebrechlich aus, doch seinen Augen war deutlich anzusehen, was die Ärzte festgestellt hatten: Er war wach, bei vollem Bewusstsein und aufmerksam.
Oliver warf Jennifer einen fragenden Blick zu, doch sie zuckte nur die Schultern.
Noch bevor sie in Mertens’ Zimmer gegangen waren, hatten sie mit Doktor Rabe telefoniert und ihm von den neuesten Entwicklungen berichtet. Der Psychopathologe hatte natürlich auch nicht sagen können, wie der alte Mann auf die Fotos reagieren würde. Er hatte ihnen lediglich dahingehend beigepflichtet, dass es eine Verbindung zwischen ihm und dem Mörder geben musste, sofern der Täter seine Botschaften an den richtigen Wilfried Mertens gesendet hatte. Ob sie irgendetwas von Mertens darüber erfahren würden, war jedoch fraglich.
Sie mussten es aber zumindest versuchen. »Herr Mertens, ich möchte, dass Sie sich etwas ansehen, ich muss Sie aber bitten, die Fotografien und das Blatt nicht anzufassen.« Oliver, der noch immer Handschuhe trug, zog die Fotos und die Liste mit den drei durchgestrichenen Begriffen aus den Umschlägen.
Die Augen des alten Mannes beobachteten ihn dabei, der Staatsanwalt glaubte sogar, so etwas wie Interesse in ihnen aufflackern zu sehen. Da es keinen anderen Platz gab, legte er alles vor Mertens auf die Zeitung. Der Neurologe sah sich die Fotos mehrere Sekunden lang an, und seine Stirn legte sich in Falten, er sagte jedoch nichts.
»Diese Menschen sind tot, Herr Mertens. Sie wurden von ein und demselben Mann umgebracht. Dem Mann, der Ihnen diese Nachrichten geschickt hat.« Oliver drehte die Fotos um. Dann hielt er die Umschläge so, dass Mertens sehen konnte, dass sie an ihn adressiert waren. »Dieser Mann, dieser Mörder, kennt Sie.«
Mertens’ Augen bewegten sich hin und her, während er die Zeilen las. Seine rechte Hand zuckte in Richtung Liste, doch er verharrte, bevor er sie berührte. Oliver beobachtete jede Regung, jede Veränderung in dem faltigen, eingefallenen Gesicht. »Sie haben eine Ahnung«, stellte er fest, obwohl er sich nicht ganz sicher war.
Sein Gegenüber starrte nur weiter auf die Fotos und die Kopie. Die Lippen hatte er zu einem dünnen Strich zusammengepresst, jede andere Reaktion blieb er jedoch schuldig.
»Er macht Sie verantwortlich«, fügte Oliver hinzu. »Dieser Mann klagt Sie an. Und Sie wissen, worum es geht, habe ich recht?« Nichts. »Herr Mertens, wir wissen, dass Sie sprechen könnten, wenn Sie wollten, und ich rate Ihnen dringend, das jetzt zu tun. Drei Menschen sind tot, weitere werden sterben. Falls
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