Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
welche Verbindung es zwischen Wilfried Mertens und dem Mörder geben mochte, konnte er die Ursache seiner Gereiztheit aber nicht länger ignorieren. Seine Verstimmung an Hannah auszulassen wäre jedenfalls ungerecht gewesen.
Oliver sah aus dem Fenster. Es war dunkel, schneite jedoch nicht mehr. Die digitale Wetterstation an der Wand zeigte knapp drei Grad unter null an. Kurz entschlossen entschied er, trotz der späten Stunde noch einen kleinen Spaziergang zu machen, um den Kopf freizubekommen.
Er ging in den Flur und nahm seine Jacke von der Garderobe. »Ich bin noch mal kurz weg«, rief er an der Tür zum Wohnzimmer, obwohl er davon ausging, dass seine Tochter nicht einmal merken würde, wenn er für eine halbe Stunde verschwand.
Zu seiner Überraschung drückte sie auf den Pausenknopf, und der Lärm einer gerade ausgetragenen Schießerei verstummte. Sie musste sich den Hals verrenken, um ihn anzusehen. »Du bist doch gerade erst gekommen.«
»Nichts Dienstliches. Ich drehe nur eine kurze Runde um die Häuser. Ein bisschen frische Luft schnappen, etwas Bewegung.«
Hannah überraschte ihn ein weiteres Mal. Sie zögerte kurz, dann fragte sie: »Kann ich mitkommen?«
»Hast du nicht gerade eine wichtige Schlacht zu schlagen?« Oliver nickte in Richtung des gefrorenen Fernsehbilds.
»Eigentlich schlage ich nur Zeit tot«, räumte Hannah ein und legte den Controller beiseite. »Frische Luft und Bewegung hören sich weitaus besser an.«
Oliver konnte nicht verhindern, dass sich seine Stirn in misstrauische Falten legte. Seit wann zog ein Teenager einen nächtlichen Spaziergang mit einem Elternteil irgendeiner anderen Tätigkeit vor? Entweder hatte sie einen Anschlag auf ihn vor, hatte etwas ausgefressen, oder hinter ihrer nachdenklichen Stimmung der letzten Tage verbarg sich doch mehr, als sie zugeben wollte.
Oliver wollte eigentlich lieber alleine sein. Er brauchte Zeit und Ruhe zum Nachdenken. Doch seine Verantwortung gegenüber Hannah wog schwerer als seine eigenen Bedürfnisse. Er hatte so schon kaum Zeit für sie. »Klar, wenn du willst.«
Keine Minute später hatte Hannah ihr gemütliches Sofa-Outfit gegen Jeans und Pullover getauscht und verließ noch vor ihm dick eingemummelt die Wohnung. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft. Die Straßen waren verlassen, keine Menschenseele war unterwegs. Erst auf der Hauptstraße fuhren ein paar Autos.
Sie schlenderten an den wenigen beleuchteten Schaufenstern vorbei, bis Hannah schließlich vor einem kleinen Bistro stehenblieb, das noch geöffnet hatte. Sie hatte die im Schaufenster befestigte Getränkekarte entdeckt, und ihre blaugrauen Augen leuchteten wie die eines kleinen Kindes, als sie sich zu ihrem Vater umdrehte. »Heiße Schokolade, da hätte ich jetzt richtig Lust drauf.«
Heiße Schokolade? Um zehn Uhr abends? »Trinken Teenager so was überhaupt noch?«, fragte Oliver, ohne nachzudenken.
Hannah verdrehte die Augen. »Natürlich. Was ist? Tee, Kaffee? Irgendwas zum Aufwärmen?« Sie lächelte. »Ich würde dir ja anbieten, dich einzuladen, aber da mein Taschengeld ohnehin aus deiner Kasse stammt …«
Oliver gab sich mit einem Seufzen geschlagen. »Na schön …«
Nachdem sie direkt an der Theke ihre Bestellung aufgegeben hatten, setzten sie sich an den einzigen freien Tisch.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis eine Tasse Pfefferminztee und ein großer Becher heiße Schokolade mit Sahne serviert wurden.
Oliver unterdrückte ein Kopfschütteln, als Hannah begann, die Sahnehaube mit dem Löffel abzutragen. Ihr würde schlecht werden. Oder auch nicht. Vollkommen unvermittelt musste er an Jennifer denken, die um diese Uhrzeit vermutlich ähnliche Kunststücke vollbringen könnte, ohne sich den Magen zu verderben. Der Gedanke brachte ihn unwillkürlich zum Lächeln.
»War nicht die schlechteste Idee«, meinte Hannah und nippte an ihrem Kakao. »Verdammt lecker.«
Oliver rührte gedankenverloren in seinem Tee, der so stark dampfte, als würde er noch immer kochen. Obwohl er es versuchte, gelang es ihm nicht, sich gänzlich vom Gegenstand seiner Grübelei loszureißen. »Wie war eigentlich dein Abend gestern?«, fragte er, um sich abzulenken.
Unglücklicherweise traf er damit bei Hannah genau ins Schwarze. Ihre Mundwinkel sackten augenblicklich nach unten. Da war er wieder, dieser nachdenkliche Ausdruck in ihren Augen, der ihm hoffentlich zu Unrecht Sorgen machte. »Es war in Ordnung. Nichts
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