Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
hervor. »Das hier hat sie mir gegeben. Vor vier Jahren, als du gegangen bist.«
Oliver nahm das Foto und faltete es auseinander. Er erkannte es wieder und spürte, wie Wut und Scham ein brennendes Loch in seine Magengegend fraßen. »Woher hat sie das?«, fragte er lahm, als er auf das Bild hinuntersah, das ihn mit einer braunhaarigen Frau und ihrem kleinen Sohn zeigte. Das Foto ließ keinen großen Spielraum für Interpretationen.
Hannah zuckte die Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Sie wusste es nicht.
»Oh Gott, Hannah …«
Sie kämpfte sichtlich mit den Tränen. »Mama hat mir damals gesagt, dass das jetzt deine Familie ist. Dass du zu ihnen gegangen bist. Du hast uns einfach den Rücken gekehrt. Du hast mich zurückgelassen.«
Oliver schüttelte den Kopf. »So war das nicht.«
»Diese Frau und dieser Junge haben doch existiert, oder nicht?«
»Ja, das haben sie … Aber die Umstände waren andere … Ich …« Ihm versagte die Stimme.
Auch Hannah hatte Mühe, ihre Emotionen zu kontrollieren. »Ich kenne bisher nur Mamas Version. Ich habe sie all die Jahre geglaubt, ohne sie jemals zu hinterfragen … Jetzt will ich deine hören …«
Zu gerne hätte er sie ihr erzählt. Doch was nutzte das jetzt noch? Bisher waren die Rollen zwischen ihm und Bianca klar verteilt gewesen, Hannahs Universum schien geordnet. War es eine gute Idee, diese Ordnung ins Wanken zu bringen? Oder war sie womöglich längst eingestürzt? »Du kannst nicht wissen, welche Version stimmt …«
Tränen rannen Hannah über die Wangen. »Nein. Und vielleicht werde ich nie zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden können. Aber ich muss es wissen … War ich dir derart gleichgültig, dass du …«
Oliver schüttelte heftig den Kopf. »Ich bin nicht freiwillig gegangen … Ich habe damals darüber nachgedacht, mich von deiner Mutter zu trennen, aber …«
»Erzähl es mir. Erzähl mir die ganze Geschichte.«
Oliver blickte erneut auf das Foto und wusste nicht, womit er beginnen sollte. »Es gab diese Frau und ihren Jungen. Wir waren als Kinder zusammen zur Schule gegangen und trafen uns zufällig wieder. Alles begann rein freundschaftlich …« Er verstummte.
»Dabei ist es aber nicht geblieben«, stellte Hannah bitter fest.
»Nein. Ich habe mich in sie verliebt, was niemals hätte passieren dürfen …« Er schluckte. Er wollte Hannah in die Augen sehen, konnte es aber nicht. »Ich wusste, dass es falsch war, und doch … Ich will keine Ausreden erfinden, Hannah. Ich habe deine Mutter betrogen.«
Hannahs Tränen waren versiegt. Sie nahm sein Geständnis mit Fassung auf. »Und dann?«
»Ich war hin- und hergerissen … Deine Mutter war mir nicht gleichgültig, ich wollte sie doch eigentlich gar nicht verletzen … Und dich verlieren wollte ich auch nicht …« Oliver kämpfte mit den Erinnerungen. Er hatte das Schlimmste getan, was man seinem Partner antun konnte. Es gab keine Entschuldigung dafür. »Ich habe die Affäre beendet … und Bianca alles gestanden.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte unserer Ehe noch eine Chance geben, ich wollte … Ach, verdammt.«
»Mama hat dich rausgeworfen.« Hannah richtete sich auf, als sei ihr dieser Gedanke gerade zum ersten Mal gekommen. »Sie hat dich vor die Tür gesetzt. Nicht du bist gegangen. Sie hat dich an dem Abend rausgeschmissen, als ich bei Nadja übernachtet habe.«
Oliver nickte. »Zu Recht. Ich habe sie hintergangen und geglaubt, mit einem Geständnis und ein wenig Beziehungstherapie würde sich das schon wieder richten lassen …«
»Sie war derart außer sich, dass sie mich angelogen hat.«
»Ich weiß nicht, was sie dir erzählt hat, Hannah. Ich weiß nur, dass du mir voller Hass und Ablehnung begegnet bist, als ich ein paar Tage später den Kontakt zu dir gesucht habe. Ich habe immer wieder versucht, zu dir durchzudringen, aber …«
Hannah starrte auf die Tischplatte. »Ohne Erfolg, ich weiß.«
»Das ist kein Vorwurf«, fügte Oliver hinzu. »Der Einzige, dem ich etwas vorzuwerfen habe, bin ich selbst.«
»Und Mama.«
»Ja, natürlich. Doch ich habe auch nur das geerntet, was ich selbst gesät hatte.«
Hannah trank schweigend ihren Kakao leer. Dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist schon verrückt.«
»Was?«
»Dass ich dich all die Jahre derart leidenschaftlich gehasst habe … Für etwas, das du gar nicht getan hast … Obwohl, wahrscheinlich hätte ich dich trotzdem gehasst … Keine Ahnung. Und Mama …«
»Tu
Weitere Kostenlose Bücher