Herzensruhe
hineingegangen“ (Hebr 6,19f). Hier hat der Autor das Bild vor Augen, daß wir Menschen im unsicheren Weltmeer dahinfahren. Wir werden hin und her geschaukelt durch die Wogen und Wellen unseres Lebens. Aber mitten in der unruhigen Fahrt unseres Lebens haben wir einen
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sicheren Anker der Seele. Es ist unser Verankertsein in dem inneren Raum der Ruhe, in dem Allerheiligsten, in dem Gott selbst in uns wohnt, in dem Christus, unser Vorläufer und Anführer im Heilwerden und Heilsein, bei uns ist und uns den Zugang in die ewige Sabbatruhe Gottes ermöglicht.
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4. Der Weg zur Herzensruhe
Den sicheren Anker der Seele im inneren Raum der Stille suchen die frühen Mönche in einer Zeit, in der das Christentum lau wird, in der sich Staat und Kirche verbinden und die Quellen der Spiritualität einzutrocknen beginnen. Ähnlich wie der Hebräerbrief lau gewordenen Christen eine neue Theologie verkündet, um sie zu stärken, wollen die Mönche in der Wüste auf neue Weise aus den Quellen der Heiligen Schrift trinken und durch ihre Spiritualität die oberflächlich werdende Kirche beleben. Die Mönche möchten das biblische Gebot „Betet ohne Unterlaß“ (1 Thess 5,17) erfüllen. Sie entwickeln Methoden des inneren Gebetes, um unablässig beten zu können. Das innere Gebet besteht darin, daß sie den Anker ihrer Seele im innersten Raum der Seele, im Allerheiligsten des Hebräerbriefes, festmachen. Sie sind überzeugt, daß in uns ein Raum der Stille ist, zu dem allein Christus Zutritt hat, in dem allein Gott wohnt.
Dort in diesem inneren Raum des Schweigens, in dieser Kammer unseres Herzens, erklingt unaufhörlich das Gebet, zu dem uns Jesus aufruft (vgl. Mt 6,6). Die Voraussetzung für dieses unablässige Gebet ist die Herzensruhe. Daher zielen alle spirituellen Methoden der Mönche darauf ab, die Herzensruhe zu erlangen, mit dem inneren Ort der Stille in Berührung zu kommen, um dort ohne Unterlaß mit Gott verbunden zu sein.
Bilder für die Herzensruhe
Die Mönche übernehmen auf ihrem Weg zur Herzensruhe Methoden und Einsichten, wie sie schon in den griechischen Philosophenschulen grundgelegt waren und praktiziert wurden.
Für die Griechen war es die wichtigste Frage im menschlichen Leben, wie wir zum wahren Glück gelangen. Und die
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Philosophie sieht das Glück nicht in äußeren Gütern, sondern
„in einem Zustand gleichmäßiger, unerschütterlicher Ruhe“
(RAC I 844). Der Weg zu dieser inneren Ruhe, zum Seelenfrieden, geht über den rechten Umgang mit den Affekten, die die Seele aufwühlen. Der Mensch soll zu einem Zustand gelangen, in dem er von den Affekten nicht mehr hin und her geworfen wird, in dem er sie vielmehr in seine Sehnsucht nach Gott integriert. Die Kirchenväter haben das Streben vor allem der stoischen Philosophie nach Apatheia
(Leidenschaftslosigkeit) und Ataraxia (unerschütterliche Ruhe) aufgegriffen und in ihre Lehre von der christiichen Gnosis eingebaut. So ist für Clemens von Alexandrien das Ideal des Seelenfriedens nur erreichbar durch die mystische Vereinigung mit Gott. Sie kann der Christ aber nicht aus eigener Kraft erlangen, sondern nur mit Gottes Hilfe. Evagrius Ponticus steht in der Tradition der beiden großen griechischen Theologen Clemens und Origenes, die die christliche Theologie und Spiritualität mit der Weisheit der griechischen Philosophie verbunden haben. Für Evagrius ist das Ziel des Mönches die Kontemplation, das Ruhen in Gott. Die Voraussetzung für die Kontemplation aber ist die Apatheia. Alle Methoden der monastischen Askese zielen auf die Erlangung der Apatheia. Die Apatheia ist für Evagrius kein Ausrotten der Leidenscha ften (pathe), sondern ein Zustand inneren Friedens, den die Affekte nicht mehr stören. In der Apatheia ist der Mönch frei geworden vom pathologischen Verhaftetsein an die Leidenschaften (an die Logismoi). Die Leidenschaften wühlen ihn nicht mehr auf, sondern sie dienen seinem Streben nach Gott. Der Mönch kann die Kraft, die in den Leidenschaften steckt, für seine Sehnsucht nach Gott nützen. Nur so kann eine lebendige Spiritualität entstehen, in der der Mensch mit all seinen Kräften, auch mit seinen Affekten und Leidenschaften, sich in Gott verankern kann und so zum unablässigen Gebet und zur Herzensruhe findet.
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Johannes Cassian, der die Mönchsväter in der Wüste besucht hat und in seinen „24 Unterredungen (Collationes)“ die Lehren des östlichen Mönchtums für den Westen neu gefaßt hat, spricht
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