Herzensruhe
Frage: „Wir würden gerne erfahren, wie man solche Herzensruhe gewinnen und bewahren kann.
Herzensruhe bedeutet ja mehr, als daß wir uns selbst Stillschweigen befehlen, die Lippen fest geschlossen halten und uns kein einziges Wort entschlüpfen lassen - das wäre nicht schwer. Herzensruhe heißt ja, daß man im eigenen Innern diese Ruhe nicht verliert.“ Germanus meint, daß man solche Herzensruhe nur in der Einsamkeit der Zelle erlange n könne.
Doch Piamun antwortet: „Solche innere Ruhe erlangt man nur durch ganz tiefe Demut des Herzens, und anders als durch Herzensdemut kann man sie auch nicht bewahren.“ Die Demut ist das Wissen um die eigene Wahrheit, um die eigene Erbärmlichkeit, um die Leidenschaften, die einen anfechten, um die eigenen Schattenseiten. Nur wer bereit ist, sich seiner eigenen Wahrheit zu stellen, kann nach der Überzeugung Cassians zur Seelenruhe gelangen. Nicht äußere Wege wie Techniken und Methoden bringen den Menschen zur Ruhe, sondern nur die humilitas, der Mut, in die eigene Tiefe hinabzusteigen, die eigene Erdhaftigkeit (humus) und Menschlichkeit anzunehmen.
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Ob einer innerlich ruhig geworden ist, das zeigt sich gerade in Situationen, die, von außen gesehen, das Gegenteil beschreiben, etwa wenn er beschimpft und durch schwierige Mitmenschen herausgefordert wird. Piamun möchte seinen beiden Gästen verdeutlichen, daß jeder die Herzensruhe erlangen kann, auch Menschen, die mitten in der Welt leben. Für sie sind die Herausforderungen des Alltags ein Weg, nach innen zu gehen und dort die Herzensruhe zu finden. So erzählt er von einer reichen Frau aus vornehmer Familie. Sie wollte mitten in der Welt Christus dienen. So erbat sie vom Bischof eine Witwe, der sie dienen wollte. Zunächst teilte ihr der Bischof eine sanftmütige Witwe zu. Doch als die Frau nochmals zum Bischof ging und sich beschwerte, daß es allzu leicht sei, dieser Witwe zu dienen, ließ er eine streitsüchtige Witwe aussuchen. Die beschimpfte bei jeder Gelegenheit die reiche Frau. Doch sie dankt dem Bischof: „Er habe ihr die beste Lehrmeisterin der Geduld vermittelt. Die Beschimpfungen hätten auf sie wie das Öl gewirkt, durch das in der Athletenschule die Ringkämpfer täglich für den Kampf gerüstet werden: gerade dadurch sei sie schließlich zur Ruhe des Herzens gelangt.“
Für uns mag es etwas fremd erscheinen, daß man gerade durch schwierige Mitmenschen die Ruhe des Herzens finden soll. Oft höre ich die Klage, daß man ja gerne in die Ruhe des Gebetes eintauchen möchte, aber die Menschen um einen herum würden einen stören. Die Konflikte halten einen ab vom Gebet.
Sobald man sich zur Meditation hinsetzt, tauchen die Konflikte auf und hindern einen an der Meditation. Die Konflikte lassen einen nicht zur Ruhe kommen. Cassian sieht das anders. Der Weg zur Herzensruhe ist für ihn ein Kampf. Er vergleicht ihn mit dem täglichen Training des Ringkämpfers. Gerade schwierige Mitmenschen nehmen einem die Illusion, als ob die Herzensruhe nur ein „Sichwohl-Fühlen“ wäre, nur eine angenehme Ruhe in einer ruhigen Atmosphäre. Herzensruhe ist vielmehr ein innerer Zustand. Wenn mich die Verletzungen
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nicht mehr erreichen, dann habe ich wirklich in Gott meine Ruhe gefunden. Und gerade die täglichen Kränkungen zwingen mich, nach innen zu gehe n und mich dort auszuruhen, wo mich niemand mehr verletzen kann, im inneren Ort des Schweigens, in dem allein Gott wohnt, zu dem die Menschen keinen Zutritt haben.
Wahre Ruhe des Herzens erlangen wir nach Cassian nur, wenn wir die inneren Feinde, unsere „eigenen Hausgenossen“
(Mt 10,36), zum Schweigen gebracht haben. „Wo nämlich unsere eigenen Hausgenossen nicht mehr gegen uns kämpfen, dort ist Gottes Reich in der Ruhe des Herzens verwirklicht.“ Das Reich Gottes ist in uns, wenn wir nicht mehr von unseren Leidenschaften und Emotionen, von unseren Bedürfnissen und Wünschen hin und her gerissen werden. Ein Test für diese innere Ruhe besteht darin, daß uns die Beleidigungen und Beschimpfungen von außen nicht mehr erregen. Cassian bezieht sich in der Begründung dieses inneren Ruhezustandes auf die stoische These, daß niemand uns verletzen kann außer wir selbst: „Betrachtet man nämlich die Sache genau, so kann ich von einem anderen Menschen, und sei er noch so böse, nicht verwundet werden, solange ich nicht mit mir im Kriegszustand bin; werde ich aber doch getroffen, so liegt das nicht am Angriff des andern, sondern an meiner
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