Herzensruhe
nicht von apatheia, sondern von der puritas cordis, von der Reinheit des Herzens. Es ist ein Zustand, in dem der Mönch seine spirituelle Sehnsucht nicht mehr mit seinen Projektionen verunreinigt, in dem er für Gott durchlässig wird und frei von Gottesbildern, mit denen er das Bild des wahren Gottes verfälscht. Reinheit des Herzens ist ein Zustand, in dem der Mönch ganz und gar durchlässig geworden ist für Gott, in dem er von Gottes Geist bestimmt wird. Reinheit des Herzens ist für Cassian letztlich identisch mit Liebe, mit einer reinen und unverfälschten Liebe. In der Reinheit des Herzens kommt der Mönch zur wahren Ruhe in Gott. Cassian spricht hier von der tranquillitas animi, von der Seelenruhe, oder von der imperturbatio (frei sein von Aufregung und innerem Chaos).
Wenn Evagrius und Cassian den Mönchsweg als Weg zur inneren Ruhe aufzeigen, antworten sie damit auf ein Urbedürfnis des Menschen, nicht nur der ersten christlichen Jahrhunderte, sondern auch der heutigen Zeit. Es war die Grundfrage, die die griechische Philosophie seit Plato bewegt hat und die sie für das Abendland wegweisend diskutiert und beantwortet hat. Die Sehnsucht nach der Herzensruhe bewegt nicht nur die Mönche in der ägyptischen Wüste, sondern gerade auch uns in unserer hektischen und streßgeplagten Zeit. Wie können wir mitten im Trubel unserer Zeit die innere Ruhe finden? Für die Mönche ist die Frage nach der Herzensruhe identisch mit der Frage, wie man wahrhaft Mönch sein kann. Wir könnten auch sagen: Es ist die Grundfrage, wie menschliches Leben gelingen kann. In einem Väterspruch heißt es:
Der Altvater Poimen bat den Altvater Joseph: „Sage mir, wie ich Mönch werde. Er antwortete: Wenn du Ruhe finden willst, hier und dort, dann sprich bei jeder Handlung: Ich wer bin ich?
und richte niemand!“ (Apophthegmata 385).
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Mönchsein wird hier identisch gesehen mit „Ruhe finden“. Es werden zwei eigenartige Wege zu dieser inneren Ruhe gewiesen. Der erste Weg geht über die immer neue Frage nach der eigenen Identität. Wer sich bei allem fragt „Ich - wer bin ich?“, von dem fallen alle falschen Selbstbilder ab. Er hört auf, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Das Ego wird hier als Quelle aller Unruhe gesehen. Das Ego redet ununterbrochen. Es fragt sich, ob es auch gut ankommt, ob die Menschen es auch beachten, ob es alles richtig macht usw. Ich kenne viele Menschen, die nie zur Ruhe kommen, weil sie immer um ihr Ego kreisen, weil sie sich immer fragen, ob sie in ihrem Ego auch nicht zu kurz kommen. Die Frage, wer ich bin, führt mich mehr und mehr zu meinem eigentlichen Selbst, zu dem Punkt, an dem ich wirklich „Ich“ sagen kann. Dieses Ich ist letztlich ein Geheimnis. Ich rühre da an das unverfälschte Bild, das Gott sich von mir gemacht hat. Die Frage nach dem wahren Selbst führt mich in den inneren Bereich meines Herzens, zu dem die Menschen keinen Zutritt haben. Dort kann ich wahre Ruhe finden. Der zweite Weg, den Poimen hier weist, ist der Verzicht auf das Urteilen über andere. Wir erleben uns ja häufig als Mensche n, die ständig über andere urteilen. Auch wenn wir nicht laut sprechen, so redet unser Herz unaufhörlich über andere. Dieses Urteilen hält uns davon ab, bei uns zu bleiben.
Wir sind immer bei den andern. Wir sind immer darauf aus, bei ihnen Fehler zu entdecken, um unserer eigenen Wahrheit auszuweichen. Aber so kommen wir nie zu uns und nie zur inneren Ruhe. Der Mönch, der sich bei allem nach seinem wahren Selbst fragt, der aus seiner Personmitte heraus lebt und der auf das Urteilen über andere verzichtet, kommt zur Herzensruhe, die für Poimen das Wesen des Mönchseins ausmacht.
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Eine Unterredung über die Herzensruhe
Viele Vätersprüche beschäftigen sich mit dem Thema, wie der Mönch zur Ruhe seines Herzens findet. Ich möchte mich beschränken auf einige Anweisungen Cassians, der als Schüler die wichtigsten Lehren des Evagrius Ponticus, des wohl größten und bedeutendsten Mönchstheologen, in den Westen gebracht hat. In den „24 Unterredungen“ schildert er seine Gespräche mit berühmten Mönchsvätern in der ägyptischen Wüste. Sie waren im Mittelalter neben der Heiligen Schrift das am meisten gelesene Buch. In der 18. Collation geht es um die Frage, wie der Mensch die Herzensruhe erlangen kann. Germanus, der wohl ein Anonym für Cassian selbst ist und der jeweils die Mönche nach ihren Erfahrungen und Lehren fragt, stellt dem Abbas Piamun folgende
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