Herzensstürme - Roman
…«
»Davon ist genügend da«, gab sie verständnislos zurück.
Dann begriff sie, dass die Böschung zu hoch war, so dass sein Mund das Wasser nicht erreichen konnte, und der arme Bursche hatte nicht einmal mehr die Kraft, mit der Hand ein wenig von dem ersehnten Nass zu schöpfen.
»Welch ein Glück Ihr habt«, meinte sie grinsend und ließ ihn aus ihrer hohlen Hand trinken. »Wäre ich nicht zufällig vorbeigekommen, dann wärt ihr verdurstet, obgleich das Wasser nur wenige Zoll von Eurem Mund entfernt ist.«
Er trank so gierig, dass sie die Hand immer wieder eintauchen musste. Es kitzelte auf der Handinnenfläche, wenn er sie mit seinen Lippen berührte, und sie fand es ziemlich komisch, dass ein erwachsener Mann ihr so bereitwillig aus der Hand trank.
Es dauerte lange, bis er endlich genug getrunken hatte, doch es schien ihn neu zu beleben, denn er stützte sich jetzt mit den Armen auf und versuchte sich aufzusetzen. Die Ärmel seines Untergewands waren vollständig abgerissen, er hatte kräftige, sehnige Arme, doch er war so matt, dass die Muskeln sogar bei dieser kleinen Anstrengung zitterten, als müsse er ein schweres Gewicht stemmen.
»Wer bist du?«, fragte er heiser und versuchte, sich das Haar aus dem Gesicht zu streichen, um den Blick frei zu haben.
Brianna fand, dass er sich erst mal hätte bedanken können - schließlich hatte sie ihn vor dem Verschmachten bewahrt. Aber da er seinem Gewand nach wohl ein Ritter war, hielt er es natürlich nicht für nötig, einer Landstreicherin Dank zu sagen.
»Ich heiße Brianna«, antwortete sie ohne große Freundlichkeit. »Und wer seid Ihr?«
Jetzt, da ihm das Haar nicht mehr ins Gesicht hing, konnte sie sehen, dass er tatsächlich hellgraue Augen hatte, die von dunklen Wimpern umrandet waren. Seine Nase war gerade, sollte das Kinn, das er unter dem Bart verbarg, auch einigermaßen wohlgestaltet und nicht etwa fliehend wie das eines Karnickels sein, dann hatte er angenehme Gesichtszüge.
Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort, blickte sich stattdessen suchend um und nickte dann befriedigt. Brianna war seinem Blick gefolgt und entdeckte einen schmalen Gegenstand, der unweit des felsigen Bachlaufs im Gras lag. Die Sonne hatte in diesem Moment den Nebel durchdrungen, und Brianna musste die Augen schließen. Was dort im Frühlicht blitzte, dass es in den Augen schmerzte, war ein scharf geschliffenes Schwert. Er war ganz sicher ein Ritter, denn einem
einfachen Mann war es verboten, ein Schwert zu tragen.
»Mein Name ist Angus«, hörte sie die Stimme des Mannes. »Ich komme aus dem Süden des Landes …«
»Und wer hat dir diese Wunde zugefügt?«
Er hatte Mühe, in der sitzenden Stellung zu verharren, sein Atem ging rasch und er presste die Lippen aufeinander. Wahrscheinlich litt er am Wundfieber.
»Ich habe die Ehre meiner Schwester verteidigt und den Mann erschlagen, der sie mit Gewalt genommen hat«, sagte er langsam und warf ihr dabei einen prüfenden Blick zu. »Nun verfolgt mich seine Sippe, um mich zu Tode zu hetzen.«
Das war keine gute Nachricht, denn sie hatte wenig Lust, seinetwegen erschlagen zu werden.
»Sind sie etwa noch in der Nähe?«
Er sah sie finster an, dann verzog er den Mund zu einem Lächeln, das sie nicht so recht deuten konnte.
»Du brauchst dich nicht zu fürchten, Brianna. Sie werden einer armen Landstreicherin gewiss nichts zuleide tun.«
Sie ärgerte sich über den abschätzigen Blick, mit dem er sie ansah. Natürlich hatte er sofort bemerkt, dass ihr Oberkleid reichlich abgeschabt und außerdem viel zu eng und zu kurz war.
»Wie kommt Ihr darauf, dass ich eine Landstreicherin sei?«
»Nun - deine Hände sehen nicht so aus, als hättest du viel in der Erde gewühlt, eine Bäuerin bist du sicher nicht. Und außerdem …«
Er schwieg und starrte ihr mit offener Neugier ins Gesicht. Brianna wusste, was er dachte, aber vorsichtshalber nicht aussprach.
»Und außerdem?«, forschte sie.
»Nichts weiter …«, wich er aus.
»Ihr wolltet von meinen Augen sprechen, nicht wahr?«, platzte sie heraus. »Sie sind dunkel, und ihre Form gleicht einer Mandel. Niemand hier hat solche Augen, ich habe sie von meiner Mutter geerbt, die aus dem Land der Sarazenen kam. Fällt Euch vielleicht auch auf, dass meine Haut nicht blass, sondern von der Sonne gebräunt ist? Wolltet Ihr mir sagen, dass an mir etwas Fremdes ist, etwas, das nicht hierher gehört?«
Er hatte ihr mit gesenktem Kopf zugehört. Als er sie nun wieder anblickte,
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