Herzensstürme - Roman
war inzwischen dem Trotz gewichen. Wieso hatte er sie nicht zu Wort kommen lassen? Sie hätte ihm doch alles erklären können - aber nein, er musste wütend über sie herfallen, ihr alle möglichen Gemeinheiten andichten und sie zum Schluss sogar eine Hure nennen. Immer noch traten ihr die Tränen in die Augen, wenn sie daran dachte, wie ungerecht er gewesen war. Wieso sollte sie eigentlich die Burg verlassen? Hatte Connor das vielleicht zu bestimmen? Gar nichts hatte er zu sagen - hier befahl Gavin MacMorris und sonst niemand!
Nachdenklich setzte sie sich neben Kelvin, der ihr Frühmahl energisch gegen den zottigen Hund verteidigt hatte, und knabberte an einem Stück Käse. Wie brachte sie Kelvin am klügsten bei, dass sie bleiben wollte?
Da kam ihr das Schicksal zu Hilfe. Ein kleiner Page mit strubbeligem braunem Haar und abstehenden Ohren schlängelte sich zwischen den teppichklopfenden
Mägden hindurch, blickte sich suchend um und lief dann schnurgerade auf ihr Quartier zu. Der braune Hund sprang ihm entgegen, und der Page erlaubte sich, seinen Spielfreund ausgiebig am Kopf zu kraulen, bevor er seinen Auftrag ausrichtete. Vermutlich dachte er, dass eine Bardin ihm diese Nachlässigkeit wohl nicht übelnehmen würde.
»Meine Herrin Isla MacMorris befielt Euch am Abend in ihr Gemach«, sagte er und nickte dabei mit dem Kopf, als habe er die Worte auswendig gelernt. »Sie möchte sich einige Lieder anhören und dann entscheiden, was Ihr vor der Hochzeitsgesellschaft singen dürft.«
Brianna wäre fast der Käse aus der Hand gefallen, so empört war sie. Nie zuvor hatte eine Burgherrin ein solches Ansinnen an sie gestellt. Traute man ihr nicht zu, die rechten Weisen auszuwählen? Hatten nicht alle gestern Abend ihre Gesänge gelobt?
Kelvin hatte inzwischen seelenruhig das Tuch zusammengefaltet, in das sie die Lebensmittel eingebunden hatten.
»Sag deiner Herrin, dass wir leider noch heute …«
»Warte!«, rief Brianna rasch.
Es fiel ihr nicht leicht, denn gerade jetzt hätte auch sie am liebsten den Staub von den Schuhen geschüttelt und die Burg verlassen. Doch die einmalige Gelegenheit, die diese Aufforderung ihr bot, konnte sie sich nicht entgehen lassen.
»Ich werde am Abend zur Stelle sein«, sagte sie dem Pagen mit freundlichem Lächeln.
Der grinste so breit, dass seine Mundwinkel fast die Ohren berührten, verbeugte sich kurz und etwas linkisch und rannte davon. Der Hund schien unentschlossen, doch da die Mahlzeit wohl beendet war,
folgte er dem kleinen Pagen mit erwartungsvoll erhobenem Schweif.
»Das ist doch wohl nicht dein Ernst?«, blaffte Kelvin sie an.
»Ich will die Räume sehen. Wenigstens den einen, in dem sie mich empfangen wird. Vielleicht erkenne ich ja etwas wieder. Einen Wandteppich, eine Truhe, ein Gefäß …«
»Hirngespinste!«, schalt er zornig. »Du wirst es noch so weit treiben, dass du zu Connors Hochzeit deine Lieder und Tänze aufführen musst.«
»Ganz sicher nicht!«
»Wenn ich nicht solch ein gutmütiger Dummkopf wäre, würde ich allein nach Glenworth Castle zurückreiten«, knurrte Kelvin, der immer noch zornig auf Connor war.
Der Tag war kühl, aber windstill, hie und da zeigte sich die Herbstsonne zwischen den Wolken, ließ die gläsernen Fenstereinsätze im Wohnturm aufblitzen und zeichnete die Umrisse der kleinen Häuschen als schwarze, eckige Schatten auf den Burghof. Dort herrschte buntes Treiben, denn inzwischen waren die Jäger heimgekehrt, hatten reiche Beute an Moorhühnern und Hasen gemacht, hörige Bauern karrten Kohl und Rüben herbei, und die Frauen bereiteten frisches Bier. Der niedrige Steinofen qualmte, man hatte ihn mit Reisig und Torf angeheizt, bald würden die Mägde die Brote herbeitragen und sie auf die heißen Steine schieben.
Brianna hatte ihre Laute hervorgeholt und sich neben den Eingang gesetzt, um leise einige neue Melodien zu proben. Das Instrument übte eine große Faszination auf sie aus, nicht nur, weil es das kostbarste und vollkommenste Instrument war, das sie je hatte
spielen dürfen, sondern auch, weil sie sicher war, es irgendwann als kleines Mädchen in ihren Händen gehalten zu haben. Auch wenn sie umsonst auf diese Burg gekommen war, wenn sie keinen Beweis für ihre Herkunft fand, so würde ihr doch diese Laute bleiben und sie ihr Leben lang begleiten.
Sie hatte sich redlich bemüht, die Saiten so leise wie möglich zu zupfen, aber dennoch bildete sich rasch ein Kreis neugieriger Zuhörer um sie, Knechte und Mägde
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