Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
ich weiß, gehört sie immer noch Butcher“, entgegnete ein anderer.
Den Namen Butcher hatte Roxy schon ein, zwei Mal gehört.
„Eben“, meinte Big Ralph, „und ich glaube nicht, dass er davon begeistert wäre, wenn seine Naphré mit Xaphan in die Kiste steigt.“
Roxys gespannte Erwartung zerplatzte wie eine Seifenblase. Es war nicht, wie sie gehofft hatte, von Dana die Rede. Dieser Abend war von Anfang bis Ende eine einzige Pleite.
Lautlos zog Roxy die schwere Tür hinter sich zu und sog aufatmend den vertrauten Duft von Zitrusreiniger und Bohnerwachs ein. Vor drei Jahren hatte sie diese damals schon halb verfallene Kirche im Norden der Stadt gekauft und Stück für Stück liebevoll restauriert. Die farbigen Kirchenfenster hatte sie von einem Kunsthandwerker aus der Region wiederherstellen lassen. Eigenhändig hatte sie die Kirchenbänke demontiert und neue Holzdielen verlegt. Mit der Verlegung der Wasserrohre und der elektrischen Leitungen hatte sie Handwerker beauftragt. Dennoch gab es in diesem Gebäude keinen Winkel, dem sie nicht eindeutig ihren Stempel aufgedrückt hatte.
Home, sweet home. Endlich zu Hause. Achtundvierzig Stunden war sie jetzt ununterbrochen auf den Beinen gewesen.
Für einen Moment schloss sie die Augen und schärfte ihre Sinne. Lag eine Spur übernatürlicher Kräfte in der Luft, etwas, das nicht hierhergehörte? Sie verzog den Mund zu einem freudlosen Lächeln. Immer dasselbe.
Sie ließ ihre Schlüssel in eine rosa gefärbte Glasschale fallen, die auf der marmornen Brüstung gleich hinter der Türstand. Sekundenlang ließ Roxy die Hand auf der kühlen, glatt polierten Oberfläche ruhen. Dann sah sie flüchtig die Post durch, die sie auf dem Nachhauseweg aus dem Postfach geholt hatte. Das meiste waren Rechnungen. Ein Schreiben der Menschenrechtsorganisation National Urban League war dabei, vermutlich die Quittung für ihren Beitrag, sowie ein Umschlag des Universitätskrankenhauses von Chicago. Das konnte nur die Spendenbescheinigung sein. Roxy hoffte, dass das Geld der Spezialklinik für Verbrennungsopfer zu-gutekam. Jedes Mal, wenn sie einen Scheck schickte, fügte sie einen entsprechenden Hinweis auf diesen Verwendungszweck bei.
Sie legte den Stapel neben die Schale, in dem die Schlüssel lagen, und löschte das Licht in der Eingangshalle. Am liebsten wäre sie jetzt auf direktem Weg ins Bett gegangen, hätte sich die Decke über den Kopf gezogen und wäre eine Woche lang dort liegen geblieben. Aber das ließ ihr Pflichtgefühl nicht zu. Sie streifte sich die Jacke ab und ließ sie liegen, wo sie zu Boden fiel. Dann gähnte sie herzhaft und bewegte den Kopf von einer Seite zur anderen, um die Verspannungen in Nacken und Schultern loszuwerden. Sie fühlte, dass sie dringend wieder zu Kräften kommen und ihre Akkus aufladen musste.
Da gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder Schlaf oder … Blut.
Alles in ihr schrie nach Blut, aber mit den Jahren hatte sie gelernt, dieses ungesunde Verlangen zu zügeln und sich lieber für Schlaf zu entscheiden.
Müde ging sie zum Schlafzimmer. Auf der Schwelle hielt sie jedoch instinktiv inne und musterte aufmerksam jeden Winkel des Raumes. Auch als sich ein Schatten aus der dunklen Ecke löste, in der ein Polstersessel stand, und sich lautlos die Wand entlang auf sie zu bewegte, blieb sie äußerlich entspannt und ließ sich nichts anmerken. Als ob sie nichts bemerkt hätte, durchschritt sie den Raum und ging zu ihrem Bett, behielt ihren Verfolger aus den Augenwinkeln aber genau im Blick und wartete auf den richtigen Zeitpunkt.
Im Bruchteil einer Sekunde verlagerte sie dann das Gewicht auf ihr Standbein, das sie leicht gebeugt hielt, und fuhr blitzartig den linken Fuß zu einem kräftigen Tritt aus. Es hätte sie fast umgerissen, denn statt auf den erwarteten Widerstand zu stoßen, ging ihr Tritt ins Leere.
Roxy nutzte den Schwung, um sich auf dem Boden abzurollen und einen Meter Distanz zu ihrem Gegner zu gewinnen. Sofort war sie wieder auf den Beinen und schlug aus der Drehung mit dem Handballen zu und nach einer weiteren schnellen Körpertäuschung mit der geballten Faust. Die Schläge kamen in schneller Folge, hart und präzise aus dem Reflex heraus, ohne dass Roxy hätte überlegen müssen.
Sie hörte einen kurzen knurrenden Laut und registrierte befriedigt, dass sie einen Treffer gelandet hatte. Aber schon im nächsten Augenblick landete sie unsanft auf dem Allerwertesten. Ihr Gegner hatte sie mit einem Fußfeger zu Fall gebracht.
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