Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
verändert“, meinte er nach einer Weile nachdenklich.
Wenn du wüsstest, wie sehr, dachte Roxy. Als sie sich dasletzte Mal gesehen hatten, war sie ein naives, kleines Mädchen gewesen, das noch nie etwas von den Isistöchtern oder den Setnakhts gehört hatte. Ebenso wenig von Seelensammlern und der ganzen verdammten Unterwelt. Nicht dass sie inzwischen alles darüber wusste. Sie hatte nur mal kurz an der Oberfläche gekratzt. Aber es war genug, um beispielsweise die Gewissheit zu haben, dass jemand wie Dagan ihr in einem gefährlichen Maße überlegen war, selbst wenn sie mittlerweile einiges an Kraft und Erfahrung hinzugewonnen hatte.
„Du sprichst auch anders als früher“, meinte Dagan.
„Ich bin erwachsen geworden, habe mir größtenteils den Slang abgewöhnt und bin aufs College gegangen.“
„Dann hast du das Geld, das ich dir gegeben habe, ja gut angelegt.“
„Etwas anders, als du es dir vorstellst. Ich habe investiert.“ Es freute Roxy, als sie seinen erstaunten Gesichtsausdruck sah. „Das Stipendium fürs College war schon genehmigt gewesen, bevor wir uns begegnet sind.“
„Aha. Ich hatte damals den Eindruck, du wärst ziemlich bedrückt und würdest nicht mehr viel auf die Zukunft geben.“
So war es damals tatsächlich gewesen. Und bis auf den heutigen Tag erfüllten Trauer und Verzweiflung sie, wenn sie an Rhianna dachte und an die Schuldgefühle, die sie nicht losließen. Aber das alles ging Dagan nichts an. „Dann hast du dich wohl getäuscht“, erklärte Roxy.
Dagan sah sie prüfend an, als könnte er mit seinen hellen Quecksilberaugen durch sie hindurch bis in ihre Seele blicken. Dann trat er einen Schritt zurück und gab ihr damit wieder Luft zum Atmen. Er zog sich das Lederband aus dem Haar und fuhr mit der Hand durch die langen blonden Locken, die ihm bis auf die Schulter reichten. Eine davon fiel ihm über die Stirn ins Gesicht.
In diesem Augenblick sah Roxy in ihm nicht den Reaper,sondern einen auf eine besondere Weise attraktiven Mann, gut aussehend, verführerisch, aber nicht von der durchgestylten Sorte, im Gegenteil. Alles an Dagan, sein langes Haar, die verwaschenen Jeans oder die ausgetretenen Stiefel, wirkte ein bisschen abenteuerlich und wild, dafür aber umso männlicher. Ein in jeder Hinsicht gefährlicher Mann.
So manche Nacht war sie schweißgebadet aufgeschreckt, weil er im Traum die Hand nach ihr ausgestreckt hatte, um ihr das Herz aus der Brust zu reißen. Und manch andere Nacht war er gekommen wie einst und hatte ihr das Leben gerettet. Beim Erwachen hatte sie noch gespürt, wie er ihr zärtlich über die Wange strich, genauso wie es damals gewesen war.
„Warum hast du mich damals in der Fabrik am Leben gelassen?“ Die Frage war heraus, bevor Roxy darüber nachgedacht hatte, ob es klug war, sie zu stellen.
Er zuckte die Schultern. „Du warst nicht an der Reihe in jener Nacht.“
Er war einen Schritt an sie herangetreten. Auch sie wollte ihm nahe sein, und sie wollte es auch wieder nicht. Dagan nahm ihr die Entscheidung ab. Er senkte den Kopf zu ihr. Seine Nase streifte ihre Wange. Sie merkte, wie er ihren Geruch einsog, und obwohl nicht mehr geschah, schlug ihr Herz zum Zerspringen.
Was bilde ich mir ein, haderte sie mit sich selbst. Er war ein Seelensammler, ein Reaper, ihr erklärter Feind, der Menschen die Seele raubte. Dass es niederträchtige Menschen waren und ihre Seelen Schwarze Seelen, machte keinen Unterschied. Und wer sagte, dass er sich auf Schwarze Seelen beschränkte?
Wer konnte wissen, was er mit ihr machen würde, wenn er erst die Informationen bekommen hatte, hinter denen er her war? Vielleicht waren die Isistöchter tatsächlich in den Mord an seinem Bruder verwickelt, vielleicht indirekt sogarsie selbst. Unmöglich war es nicht. Roxy kannte die Hintergründe ihrer Aufträge nicht. Sie führte sie einfach aus. Ihr wurden die Hände feucht, wenn sie nur daran dachte. Grund genug gab es jedenfalls, ihn auf Distanz zu halten und seine erotischen Reize zu ignorieren.
Dennoch wich Roxy nicht zurück, als sie seine Lippen auf ihrem Hals spürte. Er war ihr nahe genug, dass sie nur ein wenig den Kopf zu drehen brauchte, um ihn zu küssen, um mit der Zungenspitze über seine Lippen zu fahren. Sie spürte das Pochen seiner Halsschlagader, und ihr wurde schwarz vor Augen, wenn sie an sein Blut dachte, wie es ihre Lippen benetzte, welche Kraft sie daraus schöpfen könnte.
Sei es, dass er selbst fand, dass er zu weit gegangen war, sei es,
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