Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde

Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde

Titel: Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Silver
Vom Netzwerk:
irgendeinem Grund war er in Hades’ Reich gelandet. Das war nicht sehr erfreulich. Hades und Sutekh waren nicht gerade die besten Freunde, aber es hätte schlimmer kommen können. Zum Beispiel hätte es ihn zu Xaphan oder zu Osiris verschlagen können.
    Tröstlich war nur, dass er sich in den Totenreichen auskannte. Er konnte die Namen der zweiundvierzig Totenrichter der Ägypter ebenso nennen wie die der griechischen Götterwelt. Auch die Geheimnisse des Voodoo-Zaubers oder die bunte Welt der Maya-Gottheiten waren ihm nicht unbekannt. All das war ihm vertraut, und er kannte den Platz, den er in der Unterwelt unter jenen einnahm, die dort um die Vorherrschaft kämpften.
    Weniger tröstlich waren diese Wassermassen. Er konnte das gegenüberliegende Ufer des Styx, der es wohl sein musste, nicht ausmachen. Lokan wurde klar, dass es dieses Mal ein langer Heimweg werden würde, ein Weg, den er und die anderen Seelensammler normalerweise nicht nahmen. Aber wie es aussah, hatte er keine Wahl.
    Der Fährmann streckte seine Knochenhand aus. Dabei rutschte der Ärmel seiner Kutte hoch, und ein Teil des Skeletts wurde sichtbar. Charon erwartete seinen Fährlohn. Erst jetzt merkte Lokan, dass eine lange Schlange von Wartenden hinter ihm stand, Sterbliche, die ungeduldig mit den Füßen scharrten und nun langsam dem Boot zustrebten. Jeder entrichtete seinen Obolus.
    Lokan wurde bewusst, dass er sich in einer Verlegenheit befand. Er blickte an sich herunter. Er war nackt, ohne Taschen, ohne Geld. Und auch mit einer Münze unter der Zunge war er nicht versorgt worden, wie es die Griechen beider Bestattung ihrer Toten gemacht hatten. Das machte die Sache kompliziert. Womit sollte er Charon bezahlen?
    Er musste versuchen, sich auf seinen Namen und auf seinen Vater zu berufen. Das gefiel ihm zwar nicht, aber ihm fiel auch nichts Besseres ein. Und er wollte auch nicht ewig darauf warten müssen, wieder in seine Heimat und damit in Sutekhs Reich zurückzukehren. Zurück zu seinen Brüdern. Aber warum jagte ihm bei dieser Aussicht ein kalter Schauer über den Rücken?
    Lokan wusste es nicht. Kurz entschlossen trat er vor, räusperte sich und sprach den Fährmann an: „Ich bin Lokan Krayl, jüngster Sohn von Sutekh, dem Herrn des Chaos.“
    Charon ignorierte ihn und kassierte sein Fährgeld vom nächsten Fahrgast. Während er näher trat, entdeckte Lokan, dass Charons knochige Gelenke offenbar von feinen Spinnweben zusammengehalten wurden. Und er sah unzählige dieser kleinen, schwarz glänzenden Tierchen, wie sie geschäftig hin und her liefen, um dann wieder in den Falten der dunklen Kutte zu verschwinden.
    In einem zweiten Versuch trat Lokan nun direkt vor den Fährmann und stellte sich damit einer Frau in den Weg, die pechschwarzes Haar und blaue Augen hatte. Er erschrak, als er sie sah. Auf den ersten Blick kam sie ihm bekannt vor, er war sich aber nicht sicher. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Er machte sich Sorgen – nicht um sich, sondern um jemand anderen, ohne dass er hätte sagen können, wer das sein sollte.
    Wieder erhob Lokan die Stimme. „Lass mich auf dein Boot“, befahl er Charon. „Sutekh wird dich bezahlen.“
    Niemand nahm Notiz von ihm, weder Charon noch die Verstorbenen. Lokan drehte sich verärgert nach der Frau um, und in eben diesem Augenblick ging sie durch ihn hindurch. Durch ihn hindurch, als wäre er Luft. Die Nachrückenden taten dasselbe. Lokan spürte nicht einmal etwas dabei.
    Sein anfänglicher Ärger schlug in Entsetzen um. Er konnte nicht begreifen, was hier vor sich ging. Er war Seelensammler, Sutekhs Sohn, gezeugt von einem Gott, empfangen von einer Sterblichen. Er war so etwas wie eine Zwischenexistenz: weder tot noch lebendig, weder sterblich noch unsterblich. Er konnte nach Belieben Grenzen überschreiten, die für die mächtigsten Götter, seinen Vater eingeschlossen, unpassierbar waren. Darin lag auch die Bestimmung seines Daseins.
    Und er hatte für gewöhnlich eine Kraft und körperliche Präsenz, die der der Sterblichen weit überlegen war. Aber was war jetzt los?
    Lokan schloss die Augen und versuchte, Kontakt zu seinen Brüdern aufzunehmen. Zwischen den vier Sutekh-Söhnen bestand eine Art telepathische Verbindung, die ihnen zwar nicht erlaubte, sich in kompletten Nachrichten zu verständigen, es aber möglich machte, den anderen zu orten und zu spüren, wenn er sich in Gefahr befand. Trotz äußerster Konzentration gelang es Lokan jedoch nicht, auch nur zu einem seiner Brüder

Weitere Kostenlose Bücher