Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
Unauffällig wies er mit dem Kinn in Richtung des Wäldchens. Er wollte, dass sie verschwand, und für dieses eine Mal waren sie einer Meinung. Der Spaß hatte ein Ende. Roxy hatte nichts dagegen, die beiden ihrem Schicksal zu überlassen. Sollten sie sehen, wie sie miteinander zurechtkamen.
Xaphans Gespielin lache kurz und böse auf. „Wo soll denn da der Sieger sein? Ich sehe nur einen Reaper, der sich hinter dem Namen seines Vaters versteckt.“ Sie versuchte, ihren Arm freizubekommen, aber Dagan hielt sie mit eiserner Faust.
Langsam hob Naamah den Kopf. Auf ihrer Miene lag seltsamerweise ein Zug von Genugtuung. Es war, als hätte sie nur auf diese Reaktion gewartet. „Was du tust, ist ein Akt der Aggression, Sohn des Sutekh“, sagte sie mit einem dumpfen Grollen in der Stimme.
Roxy war mit einem Mal aufs Höchste alarmiert.
Für eine, zwei Sekunden trat eine unheimliche Stille ein.
Dann durchschnitt ein schriller, hoher Ton die Nacht. Esklang wie ein Pfeifkessel, den man auf dem Feuer vergessen hatte. Roxy brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass Naamah dieses Geräusch von sich gab. Auf einmal erfüllte ein Flimmern die Luft, und sie wurde von einer Hitzewelle getroffen, die ihr die Luft zum Atmen nahm. Jeder Atemzug wurde zur unerträglichen Qual. Roxy rang nach Luft, taumelte rückwärts und vertrat sich dabei den verletzten Fuß. Das Blut rauschte ihr in den Ohren.
„Jetzt wäre es Zeit zu verschwinden“, hörte sie Dagan sagen.
Währenddessen hielt er Naamah weiter fest. Doch zu ihrem Entsetzen sah Roxy, wie seine Hand in Flammen aufging. Der Gestank von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft. Naamahs Gefährtinnen kamen näher. Bebend vor Ungeduld, warteten sie auf das Zeichen ihrer Anführerin einzugreifen.
Roxy sah Dagans schmerzverzerrtes Gesicht. Dann fiel ihr Blick zurück auf seine brennende Hand, die in diesem Augenblick zu Asche zerfiel. Übrig blieb nur ein schwarz verkohlter Stumpf am Handgelenk. Roxy merkte, wie ihr übel wurde. Sie begriff, dass ihr Fuß längst schon hätte aussehen können wie Dagans Hand oder das Wenige, das davon übrig gewesen wäre, hätte er nicht eingegriffen. Jetzt stehe ich noch tiefer in seiner Schuld, verdammte Scheiße, dachte Roxy.
„Lauf!“, rief er ihr zu. Dagan zog den verstümmelten Arm an den Körper, als wollte er ihn schützen, und holte gleichzeitig zu einem Tritt gegen einen der Feuerdämonen aus, der sich ihm bedrohlich genähert hatte. Naamahs Gefährtinnen waren mutiger geworden und wagten sich nun weiter vor.
Roxy sah sich nach einem sicheren Fluchtweg um und entdeckte etwa sieben Meter entfernt ein paar Schatten. Es waren Schatten von männlichen Körpern, die vorher noch nicht dort gewesen waren, die sich unnatürlich schnell bewegten und jetzt allmählich Gestalt annahmen. Kamen sie ihnen zu Hilfe, oder war es eine neue Bedrohung? Roxy nahm sich nicht die Zeit, darüber nachzudenken, sondern begann zu laufen, so schnell ihr verletzter Fuß es zuließ. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Sie sah, dass der Weg frei war, und lief zur Garage, die sich im nördlichen Teil des Grundstücks befand. Als sie um die Ecke biegen wollte, rutschte sie jedoch auf dem lockeren Kies weg und schlitterte wie ein Baseballspieler die Füße vorweg dem Flachbau entgegen. Im letzten Moment erkannte sie noch aus den Augenwinkeln, dass sich anscheinend alle Feuergeister auf Dagan gestürzt hatten. Es war nicht auszumachen, wer gerade die Oberhand hatte.
Roxy zweifelte an ihrem Verstand. Warum war sie nicht zum Wäldchen gelaufen? Dort war ihr Terrain, dort fand sie sich mit verbundenen Augen zurecht, und Xaphans Mädels hätten einige Mühe gehabt, ihr zu folgen. Stattdessen tummelte sie sich weiterhin auf diesem Kampfplatz. Mehrmals hatte Dagan sie aufgefordert wegzulaufen. Sie war ihm zu nichts verpflichtet. Er war weder ihr Freund noch ihr Verbündeter, auch wenn er sie ein weiteres Mal vor Schlimmerem bewahrt hatte. Sie durfte nicht vergessen, dass er ein Seelensammler war, ein Reaper. Die Ziele, die er verfolgte, waren ihren entgegengesetzt. Wenn Calliope erfuhr, was sie hier machte und dass sie sich auf die Seite von einem Sohn Sutekhs schlug, würde sie sie umbringen. Buchstäblich.
Dennoch brachte Roxy es nicht fertig, sich abzusetzen und wie ein Hund mit eingeklemmtem Schwanz davonzulaufen.
Sie schob das Tor der Garage auf. Drinnen war es stockdunkel, aber sie fand sich auch so zurecht. Sie suchte nicht ihre schwarze Corvette. Die
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