Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
angespannt, und in dieser Haltung erstarrte sie. Dann fiel ihr der Kopf in den Nacken, und aus ihrem Mund drang ein unheilvolles Geräusch. Es klang wie ein Luftballon, aus dem man die Luft herausließ.
Dagan war es inzwischen gelungen, mit der gesunden Hand Gahijis Unterarm zu packen. Gleichzeitig presste er seinen noch verstümmelten Arm gegen Roxys Brust. Er hielt sie so, um damit zu verhindern, dass Gahiji mit der Hand noch weiter in sie eindringen konnte.
„Verdammt noch mal, was tust du!“, presste Dagan undeutlich hervor.
Roxy hatte die Fingernägel in Gahijis Arm gebohrt und wehrte sich verzweifelt. Aus den tiefen Kratzspuren lief Blut. Ihre schokoladenbraune Haut war blass geworden. In ihren weit aufgerissenen Augen las Dagan die Panik und die Todesangst, die sie ergriffen hatten.
Aus seinen kleinen zusammengekniffenen Augen unter den dichten Brauen schaute Gahiji Dagan an. „Sie ist unser Feind“, erklärte er. „Lass mich ihre Seele nehmen und sie Sutekh bringen. Er wird mit Sicherheit alle Antworten finden, die sie vor dir verborgen gehalten hat und die du bisher vergeblich gesucht hast.“ Er sah auf Dagans Hand, die eisern um seinen Arm geschlossen war. „Warum hinderst du mich daran?“
Diese Frage war nicht rhetorisch gemeint. Gahiji konnte Dagans Verhalten nicht verstehen. Und damit war er nicht allein. Denn Dagan verstand es selbst nicht. Er wusste nur, dass Roxy in dieser Nacht nicht sterben durfte. Und um daszu verhindern, würde er alles tun. Er hatte sie schon mal gerettet, und er würde es wieder tun.
Aber konnte er es noch verhindern? Bei der Vorstellung, dass sie dem Tod geweiht war, zerbrach etwas in ihm. Eine Welle aus Wut und Verzweiflung überkam ihn. Dagan fühlte, wie er zitterte und wie ihm der kalte Schweiß aus allen Poren trat. Er hatte einen widerlichen metallenen Geschmack im Mund.
Eisern umklammerte er weiter Gahijis Arm.
„Hilf mir. Halt sie fest“, rief er Alastor zu. Der hatte schon längst geschaltet und war hinter Roxy getreten. Er hatte die Arme um sie geschlungen und gab ihr so den nötigen Halt. Wenn sie ihm entglitt, war sie verloren. Zweifellos boten sie einen makabren Anblick. Gahiji konnte sich nicht rühren, weil Dagan ihn im Griff hatte, und die Brüder durften sich nicht bewegen, damit Roxys Herz nicht herausgerissen wurde.
Es wäre ihr sicherer Tod. Dann wäre sie in irgendeinem der unzähligen Reiche der Unterwelt verloren. Es gab so verdammt viele Götter, Halbgötter, große und kleine Fürsten und Dämonen. Wie hätte er sie jemals wiederfinden sollen! Noch schlimmer: Vielleicht entschwand sie auch in den Himmel, von dem Dagan schon einmal gehört hatte, ohne sich vorstellen zu können, was es damit auf sich hatte.
Nein, er wollte sie hier, auf dieser Erde, in dieser Welt der Lebenden und nirgendwo sonst.
Dagan sah, dass sie Blut verlor, viel Blut. Er konnte Gahijis Hand nicht ohne Weiteres aus ihrer Brust ziehen. Dann wäre die riesige Wunde vollständig offen gewesen, und sie wäre in Minuten, wenn nicht in Sekunden verblutet, ohne dass er es hätte verhindern können. Sie sah ihn immer noch an. Offenbar wusste sie genau, wie es um sie stand. Dagan konnte es ihr an den Augen ablesen. Zum ersten Mal fühlte er sich hilflos. Sein Job bestand darin zu töten, nicht darin, Leben zu bewahren.
„Lass es mich zu Ende bringen“, brachte Gahiji zischend hervor. „Du verlängerst ihr Leiden nur.“
„Lass ihr Herz los, Gahiji. Du hast nicht das Recht, es zu nehmen. Es gehört dir nicht.“ Es gehört mir, du Bastard, dachte Dagan. Es gehört mir schon seit elf Jahren, als ich es ihr damals gelassen habe.
„Sie hat uns gesehen. Sie wird Geschichten über uns erzählen. Sie ist eine Gefahr. Aber Sutekh wird in ihrem Herzen lesen und vieles erfahren, was ihm nützt. Wie kannst du wollen, dass sie am Leben bleibt? Eine Isistochter. Du kennst die Regeln. Sie muss sterben.“
„Halt endlich dein Maul“, schaltete sich Alastor ein. „Ich habe zwar keine Ahnung, was hier vor sich geht. Aber du hast gehört, dass sie unter Dagans Schutz steht.“
Roxy hielt sich unglaublich tapfer. Sie bewegte sich keinen Zentimeter. Dagan hörte, wie ihr Atem schneller und flacher wurde. Alastor packte sie ein wenig fester und achtete darauf, dass sie ihm nicht wegrutschte, während Dagan Gahiji weiterhin in Schach hielt. Dagan überkam eine Welle von Dankbarkeit und Zuneigung für seinen Bruder. Er hatte kein erklärendes Wort zu verlieren brauchen. Alastor
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