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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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auf sie gehört«, fragte ich zweifelnd.
    »Wenn ich das wüsste. Vielleicht hatte er Angst, ihr zu viel Macht über sein Leben zu geben. Wer will sich von einer Stimme sagen lassen, welches Flugzeug er nehmen darf und welches nicht?«
    »Warum hast du mir davon noch nie erzählt?«
    »Ich dachte, ich hätte es getan. Aber vielleicht ging ich davon aus, du würdest es mir nicht glauben.«
    Ich war nicht sicher, ob ich es jetzt tat. Ich musste an meinen Bruder in Burma denken. »Nicht alles, was wahr ist, kann man erklären, und nicht alles, was man erklären kann, ist wahr«, hatte er mir damals gesagt. Wie oft hatte ich in den ersten Jahren nach meiner Rückkehr an diesen Satz gedacht. In Kalaw hatte ich irgendwann verstanden, was er meinte, in seiner Welt mit ihren abergläubischen Menschen machte das für mich Sinn, zurück in New York, war ich wieder unsicher geworden. Warum sollte nicht alles wahr sein, was man erklären kann? Warum sollte man nicht alles erklären können, was wahr ist? Vielleicht gab es in Kalaw Wahrheiten, die woanders nicht galten.
    »Du glaubst mir nicht«, sagte Amy, als hätte sie meine Zweifel gespürt.
    »Nein. Doch. Natürlich glaube ich dir, dass deine Mutter das erzählt hat, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dein Vater von einer Stimme vor seinem letzten Flug gewarnt wurde.«
    »Warum nicht?«
    »Du kennst mich. Dafür bin ich zu rational.«
    »Dein Vater konnte Herzen hören. Er konnte Schmetterlinge an ihrem Flügelschlag erkennen. Wie erklärst du dir das?«
    »Dafür gibt es keine Erklärung, ich weiß. Das heißt aber nicht, dass ich deshalb jeden …« Ich suchte nach einem Wort, das Amy nicht verletzen würde.
    »… esoterischen Quatsch glaube«, vollendete sie meinen Satz.
    »Genau«, sagte ich und musste selber lachen.
    »Sollst du auch nicht«, fuhr sie fort. »Aber jetzt hörst du eine Stimme. Hast du dafür eine Erklärung?«
    »Nein«, antwortete ich kleinlaut.
    Wir schwiegen beide nachdenklich.
    »Wollen wir irgendwo was trinken gehen?«, fragte sie nach einer langen Pause und richtete sich auf.
    Ich zögerte. »Lieber würde ich hierbleiben. Mir ist nicht nach fremden Menschen.«
    Sie nickte. »Möchtest du einen Espresso?«
    »Lieber ein Glas Wein.«
    »Noch besser.« Sie ging in die offene Küche, öffnete eine Flasche Rotwein, kam mit einem Tablett, Gläsern, Schokolade und Nüssen zurück und schenkte uns ein. Sie zündete ein paar Kerzen an, wir nahmen zwei Kissen, setzten uns auf den Boden und schwiegen. Das konnten wir gut. Im Beisein von Amy verlor die Stille alles Trennende.
    »Hörst du sie jetzt?«, fragte sie irgendwann.
    Ich horchte in mich hinein und schüttelte den Kopf.
    »Schade. Ich hätte mich gern mal mit ihr unterhalten.«
    Ich warf ihr über mein Weinglas hinweg einen leicht gequälten Blick zu. »Sie sagt nichts, Amy. Sie stellt nur Fragen.«
    »Ich frage mich, ob diese Stimme auch einen Nutzen haben könnte?«
    Ich frage mich. Eine typische Amy-Redewendung. Sie benutzte sie oft, wenn ihre Frage eigentlich eine Aussage war. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, was sie meinte: Julia! Diese Stimme hat einen Sinn.
    »Welchen Nutzen?«
    »Meinem Vater war es unangenehm, darüber zu sprechen, aber er hat die Stimme, meiner Mutter zufolge, nicht als Bedrohung empfunden. Mehr als so eine Art Lebensbegleiter, mit dem er sich in regelmäßigen Abständen austauschte, glaube ich.«
    Ich schüttelte den Kopf. Es war nicht, was ich hören wollte. Ich hätte aber auch nicht sagen können, welche Sätze mir in dieser Situation gutgetan hätten. Wollte ich nur ein wenig Mitleid, verbunden mit der Versicherung, dass es mir in ein paar Tagen wieder besser gehen würde? Wie bei einem grippalen Infekt?
    »Ich brauche keinen Lebensbegleiter. Zumindest keinen, den ich nicht sehen und berühren kann.«
    Amy nippte in Gedanken versunken an ihrem Wein. »Und wenn du ihre Fragen beantwortest?«
    »Wozu?«
    »Möglicherweise gibt sie dann Ruhe. Wer weiß?«
    »Das habe ich versucht. Es hat nur zu mehr Fragen geführt.«
    Sie wiegte den Kopf hin und her und schaute mich lange an. »Was macht dir an dieser Stimme Angst«?
    »Was mir Angst macht? Dass ich keine Kontrolle über sie habe.«
    »Ist das so schlimm?«
    »Ja! Ich habe wortlos und ohne Erklärung eine Bürokonferenz verlassen. Eine wichtige!«
    »Ein plötzlicher Schwächeanfall. Mulligan wird es dir nachsehen.«
    »Aber kein zweites Mal. In der kommenden Woche müssen wir eine ziemlich komplizierte

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