Herzenstimmen
ich hätte sagen können, woran es lag. Der Enge? An seiner Stimme vielleicht. Sie war klar, aber zu kalt, fast schneidend. Eine Stimme voller Selbstgewissheit. Obgleich ich genau das suchte, jemanden, der sich seiner Kunst, seines Wissens sicher war, dem ich mein Leid klagen konnte, der es diagnostizieren und mir eine erfolgreiche Therapie verschreiben könnte, war sie mir unangenehm.
Ich erzählte ihm, was in den vergangenen drei Tagen vorgefallen war. Er hörte aufmerksam zu, fragte hin und wieder, machte sich Notizen.
»Ich halte es nicht mehr länger aus«, schloss ich meine Schilderung. »Ich hoffe sehr, dass Sie mir helfen können.«
Er blickte mir geradewegs in die Augen und sagte ruhig: »Das werde ich, machen Sie sich keine Gedanken. Es gibt eine Reihe neuer Psychopharmaka, die bewirken wahre Wunder.«
Was mich beruhigen sollte, verstärkte mein Unbehagen noch.
»Stimmen hören ist nicht so ungewöhnlich, wie Sie vielleicht glauben. Moses hörte die Stimme Gottes, nicht wahr? Sokrates hörte Stimmen. Jeanne d’Arc, Rainer Maria Rilke, um ein paar Beispiele zu nennen. Es ist ein Phänomen, das viele Ursachen haben kann.« Sein Blick ruhte weiter auf mir, ich gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass ich begriff, was er sagte.
»Es kann ein Symptom sein für eine körperliche Erkrankung. Alzheimer zum Beispiel. Parkinson. Für einen Gehirntumor. Es könnte aber auch auf ein seelisches Leiden hindeuten.«
Ich rutschte in meinem Ledersessel hin und her.
»Aber ich will Sie nicht verrückt machen.« Er hielt kurz inne, lächelte und wartete, ob ich auf sein Wortspiel reagierte. Als ich es nicht tat, fuhr er ernst fort: »Es kann auch ganz andere Gründe haben. In den allermeisten Fällen haben wir dagegen Medikamente, die helfen. Nehmen Sie zurzeit Tabletten?«
»Hin und wieder mal eine Ibuprofen gegen Rückenschmerzen, sonst nichts.«
»Drogen?«
»Nein.« Ich wischte vergeblich über einen kleinen Fleck auf meiner Hose.
»Alkohol?«
»Ja, aber wenig.«
»Wie viel?«
»Ein Glas Wein zum Abendessen. Manchmal zwei.«
»Wann waren Sie das letzte Mal richtig betrunken?«
»Oh Gott. Das ist ewig her. Als Studentin.«
Er nickte kurz. »Drogen haben eine halluzinogene Wirkung. Sie sind eine häufige Ursache für Stimmenhören.«
Ich war unsicher, ob er mir glaubte.
Er überlegte. »Kommt Ihnen die Stimme bekannt vor?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich und strich noch einmal über den Fleck.
»Es gibt Menschen, die einen Freund, Elternteil oder Partner verloren haben und dann deren Stimmen vernehmen.«
»Seit dem Tod meines Vaters vor vierzehn Jahren ist niemand gestorben, der mir nahestand.«
»Das heißt, es gibt keine Person, der Sie die Stimme zuordnen können?«
»Nein. Sie erteilt mir auch keine Befehle und beschimpft mich nicht.«
Er lächelte. »Ich sehe, Sie haben sich mit dem Thema schon beschäftigt. Leiden Sie unter Zwängen?«
»Was meinen Sie damit?« Seine Fragen irritierten mich zunehmend.
»Eine Art Waschzwang, zum Beispiel. Der Fleck auf Ihrer Hose scheint Sie ja mächtig zu stören.«
Überrascht schaute ich zuerst auf meine Hose, dann auf ihn. Ein kurzes Lächeln flog über sein Gesicht. Wollte er mich provozieren?
»Ich trage nicht gern bekleckerte Hosen und habe ihn beim Anziehen übersehen«, erwiderte ich kühl. »Ich dusche auch jeden Morgen. Ich glaube nicht, dass das etwas mit einem Waschzwang zu tun hat.«
Dr. Erikson deutete ein Kopfschütteln an. »Sicher nicht. Haben Sie manchmal den Eindruck, andere Menschen könnten Ihre Gedanken lesen?«
»Nein.«
»Fühlen Sie sich gelegentlich beobachtet oder verfolgt?«
»Nur von der Stimme.«
»Denken Sie manchmal, dass Ihre Gedanken von anderen Menschen beeinflusst werden?«
»Werden sie das nicht immer?«
Ein feines Lächeln war die Antwort. Er musterte mich schweigend.
Meine Anspannung wuchs. Ich vertraute ihm mein Innenleben an, oder zumindest einen Teil davon, und hatte nicht das Gefühl, dass es bei ihm gut aufgehoben war. Einen Moment lang überlegte ich, die Sitzung abzubrechen. Die Vorstellung, wieder von der Stimme verfolgt zu werden, hielt mich zurück. Ich brauchte seine Hilfe.
»Woher kommt diese Stimme?«, fragte ich nach einer Pause. »Wie werde ich sie wieder los?«
Er wippte nachdenklich in seinem Stuhl. »Nach Ihren Schilderungen gehe ich davon aus, dass es sich lediglich um eine psychosenahe oder psychotische Reaktion handelt.«
»Was ist das? Wie kommt es dazu?«
»Unterschiedlich.
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