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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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glimmten ein paar Holzscheite, darüber hing ein verrußter Kessel. U Ba kniete sich hin, legte etwas Reisig auf die Glut und pustete einige Male heftig, bis das trockene Holz Feuer fing. Der Rauch verschwand in einem Loch im Dach.
    Worauf hatte ich mich eingelassen? War ich in der Lage, in dieser Hütte zu wohnen? Ein Plumpsklo zu benutzen, mich am Brunnen im Hof zu waschen? Ich überlegte, mit welcher Ausrede ich meinem Bruder morgen den Umzug zurück ins Kalaw Hotel erklären könnte.
    Er stellte eine Thermoskanne mit Tee, zwei Becher und einen Teller mit gerösteten Sonnenblumenkernen auf ein Tablett, und wir gingen ins Wohnzimmer.
    Es war kühl geworden, aus meinem Rucksack holte ich eine Fleecejacke und zog sie über. Dabei trat ich versehentlich gegen einen der Eimer. »Warum stehen hier so viele Plastikeimer herum?«
    Er schaute sich um, als wären sie ihm noch nicht aufgefallen. »Oh ja, die Eimer. Mein Haus ist alt, das Dach leckt an einigen Stellen. Aber mach dir keine Sorgen, im Schlafzimmer ist es trocken.«
    »Warum hast du das Dach nicht neu decken lassen?«
    »Das ist sehr teuer. Der Holzpreis ist explodiert …«
    »Aber«, unterbrach ich ihn, »von dem Geld, was ich dir geschickt habe, hättest du dir doch vermutlich ein neues Haus bauen können, oder nicht?«
    Er neigte den Kopf zur Seite und blickte mich nachdenklich an. »Das stimmt.«
    »Und warum hast du es nicht getan? Was hast du mit dem Geld gemacht?«
    Die Frage war mir herausgerutscht. In einem Ton, der mir sofort unangenehm war. Als müsse er sich rechtfertigen. Ich wollte keine Rechenschaft von meinem Bruder. Es waren Geschenke gewesen.
    Und trotzdem.
    »Es ist natürlich deine Sache, ich dachte nur …«
    U Ba kräuselte nachdenklich die Stirn. »Du hast ja völlig recht, kleine Schwester. Es ist eine gute Frage: Was habe ich mit dem vielen Geld gemacht? Lass mich überlegen. Ein wenig habe ich dem Besitzer des Teehauses gegeben, damit er das neue Lokal bezahlen konnte. Die Frau meines Nachbarn war sehr krank. Sie musste in die Hauptstadt ins Krankenhaus und brauchte Geld. Der Sohn eines Freundes studierte in Taunggyi, der hat etwas bekommen.«
    Ich hoffte, die Aufzählung wäre damit beendet. Mit jedem Beispiel überkam mich eine größere Scham.
    »Vor einigen Jahren hatten wir ein ausgesprochen trockenes Jahr, und die Ernten waren schlecht. Da brauchten viele Familien ein wenig Hilfe. Was noch?«
    Er schwieg einen Moment. »Ja!«, rief er plötzlich laut. »Außerdem habe ich mir etwas geleistet. Etwas ganz Besonderes.«
    U Ba ging zum Regal und zeigte stolz auf einen Kassettenrekorder. »Den habe ich mir von deinem Geld gekauft, und immer wenn jemand nach Rangun fährt, bringt er mir neue Kassetten mit. Warte mal.«
    Er schob eine Kassette in das Gerät, drückte auf Start und warf mir einen erwartungsvollen, stolzen Blick zu.
    Es ertönten Bläser und Streicher, etwas Klassisches.
    »Manchmal kommen meine Nachbarn, und sie bringen ihre Nachbarn mit«, sagte er in einem feierlichen Ton, »dann sind wir so viele, dass wir in dichten Reihen auf dem Boden sitzen und zusammen Musik hören. Den ganzen Abend.«
    Ich konzentrierte mich auf das Stück und versuchte zu erkennen, was das Orchester spielte, es klang vertraut und gleichzeitig äußerst seltsam. Als würden sich betrunkene Musiker an Beethoven oder Brahms versuchen. Ein chinesischer Rekorder gab es blechern, schrill und sehr ungleichmäßig wieder.
    »Ich glaube, das Gerät eiert.«
    U Ba stutzte. »Meinst du?«
    Ich war mir sicher und nickte vorsichtig. Es tat mir in den Ohren weh.
    »Meinst du wirklich?«
    Ich nickte noch einmal.
    Er schwieg für einen langen Moment. »Das macht nichts. Ich finde diese Musik auch so wunderschön.« Mein Bruder schloss die Augen und folgte der Melodie einer Violine. »Außerdem habe ich keinen Vergleich«, erklärte er mit noch immer geschlossenen Augen. »Das ist das Geheimnis eines glücklichen Menschen.«
    Ich sah, wie sehr ihn die Musik bewegte. Er öffnete kurz die Augen, warf mir einen dankbaren Blick zu, schloss sie wieder, und mit jeder Note wurde das Scheppern und Eiern unwichtiger, bis ich es selber kaum noch hörte. Mitten in einem zarten Solo erstarb der Klang der Geige abrupt, es wurde so dunkel, dass ich nicht einmal mehr die Silhouette meines Bruders erkennen konnte. Einen Augenblick lang hörte ich nichts als das Summen der Insekten. Dann ertönten die Stimmen der Nachbarn.
    »Der Strom«, seufzte U Ba in der Dunkelheit. »Er

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