Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
Vom Netzwerk:
fällt in den vergangenen Wochen häufig aus.« Er stand auf, kurz darauf sah ich sein Gesicht im Flackern eines Streichholzes. Er zündete mehrere Kerzen an und verteilte sie im Haus, ihr Schein tauchte die Hütte in ein warmes, weiches Licht.
    »Manchmal ist die Elektrizität nach ein paar Minuten wieder da, manchmal erst am nächsten Morgen«, sagte U Ba und schenkte mir nach.
    Ich nippte an meinem Tee, allmählich spürte ich die Anstrengungen der Reise.
    »Hat das Leben«, fragte er, nachdem er sich wieder gesetzt hatte, »haben die Sterne es gut mir dir gemeint in der letzten Zeit?«
    Mir geht es gut. Danke. Alles bestens. Alles wunderbar. Ich kann nicht klagen. Es könnte schlechter gehen. Mir gingen alle Floskeln durch den Kopf, mit denen ich in New York eine ähnliche Frage beantwortet hätte. Meinem Bruder gegenüber wäre jede einzelne eine Beleidigung gewesen.
    »Eine gute Frage«, erwiderte ich ausweichend.
    »Eine dumme Frage«, widersprach er. »Verzeih mir, dass ich sie so unüberlegt gestellt habe. Ob das Leben und die Sterne es gut oder schlecht mit uns gemeint haben, wissen wir ja oft erst viele Jahre später. Das Leben nimmt die eigenwilligsten Wendungen. Was wir als Unglück ansahen, kann sich später als Segen herausstellen und umgekehrt, nicht wahr? Eigentlich wollte ich nur wissen, ob es dir gut geht. Ob du glücklich bist. Ob du geliebt wirst. Alles andere ist unwichtig.«
    Ich schaute ihn im Kerzenschein an und kämpfte mit den Tränen. Ich wusste nicht, ob aus Trauer, dass ich seine Frage nicht mit einem lauten, überzeugten Ja beantworten konnte, oder ob mein Bruder mich so tief rührte.
    Wurde ich geliebt? Von meiner Mutter selbstverständlich. Auf ihre Weise. Bei meinem Bruder war ich mir nicht sicher.
    Von Amy.
    Zwei Menschen. Zwei sehr unterschiedliche Arten der Liebe. Mehr fielen mir nicht ein.
    Genügte das? Wofür? Von wie vielen Menschen müssen wir geliebt werden, um glücklich zu sein? Zwei? Fünf? Zehn? Oder doch nur von einem? Diesem einen, der uns zum Sehenden macht. Der uns die Angst nimmt. Der unserem Sein einen Sinn einhaucht.
    Diesen Menschen gab es in meinem Leben nicht. Vielleicht war er auf dem Weg zu mir gewesen.
    Groß wie ein Streichholz.
    Nicht lebensfähig. Nicht liebesfähig. Noch lange nicht. Aber irgendwann.
    Wann beginnt das Leben? Wann beginnt die Liebe? Wann hört sie auf?
    U Bas Blick ruhte wieder auf mir. Er schaute ein wenig verstohlen auf meine Hände. Meinen Ringfinger. Ich wusste, was er meinte.
    »Herr Michael ist eine lange Geschichte«, sagte ich. Seufzend.
    Keine Liebe fürs Leben. Aber eine Hoffnung darauf.
    Mein Bruder spürte mein Unbehagen. »Verzeih, dass ich überhaupt gefragt habe. Wie anmaßend von mir. Wie konnte ich so unachtsam sein und einfach losfragen, kaum hast du mein Haus betreten. Als gäbe es kein Morgen. Als hätten wir nicht alle Zeit der Welt, uns zu erzählen, was für die Ohren des anderen bestimmt ist. Es tut mir furchtbar leid. Es muss die Aufregung sein. Und die Freude, dich endlich wiederzusehen. Trotzdem ist mein Verhalten natürlich auch damit nicht zu entschuldigen. Ich kann nur auf deine Nachsicht hoffen.« Er legte einen Finger auf den Mund. »Und kein Wort mehr heute Abend zu diesen aufdringlichen Fragen.«
    Seine Art, sich auszudrücken brachte mich zum Lachen. »Versprochen. Aber ich glaube sowieso, dass ich ins Bett muss.«
    Er sprang auf. »Natürlich. Noch eine Unaufmerksamkeit meinerseits. Ich werde sofort dein Bett bereiten.«
    Ich beharrte darauf, auf dem Sofa zu schlafen. Nach langem Hin und Her akzeptierte er meine Entscheidung, kramte aus einer Truhe eine warme Decke und ein Kissen hervor und pustete eine Kerze nach der anderen aus. Er legte mir eine Taschenlampe auf den Tisch vor dem Sofa, falls ich in der Nacht auf die Toilette in den Hof müsste, vergewisserte sich mehrfach, ob ich auch bequem lag, ob ich alles hatte, was ich für einen guten Schlaf brauchte, wünschte mir eine gute Nacht und strich mir im Schein der letzten Kerze einmal zärtlich über das Gesicht.
    Ich hörte ihn noch vor dem Haus mit Wasser hantieren, hustend die Verandatreppe hochgehen und in sein knarzendes Bett steigen. Kurz darauf löschte er die Kerze.
    Das Sofa war bequemer, als ich gedacht hatte, ich erinnerte mich jetzt, wie gut ich damals darauf geschlafen hatte. Trotz meiner Erschöpfung fiel es mir schwer einzuschlafen.
    Ich dachte an meinen Vater, und zum ersten Mal nach langer Zeit wünschte ich, er säße neben mir,

Weitere Kostenlose Bücher