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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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wieder warm. Sie wollte nicht, dass er ging.
    Die Passanten liefen an ihnen vorbei, manche stutzten beim Anblick des kräftigen jungen Mannes an ihrer Seite und warfen ihnen vielsagende Blicke zu. Immer wieder blieben Kunden stehen, kauften Tomaten, Ingwer oder Auberginen und musterten den Unbekannten dabei gründlich.
    Maung Sein nahm das Interesse an ihm nur am Rande wahr. Er saß so aufrecht, als meditiere er, hielt die Augen die meiste Zeit gesenkt und konnte kaum glauben, was er getan hatte. Er, der normalerweise so schüchtern war, dass er verstummte, sobald ein Mädchen im Raum oder nur in seiner Nähe war, hatte die Kühnheit besessen, diese junge Frau, die schönste, die er jemals gesehen hatte, zu fragen, ob er sich zu ihr setzen dürfe. Er wusste nicht, wo die Quelle dieser plötzlichen Courage lag. Sie war einfach da gewesen. Als wenn Mut nur den richtigen Anlass benötigte, um sich zu zeigen. Wer, dachte Maung Sein, wusste schon, wozu er wirklich fähig war?
    Hin und wieder stellte Nu Nu eine Frage, die er höflich beantwortete, wobei er jeden zweiten Satz wiederholen musste, so leise kamen die Worte über seine Lippen.
    Maung Sein war ein außergewöhnlich stiller Mensch, der an manchen Tagen kaum mehr als ein paar Sätze sprach. Nicht weil er unhöflich, mürrisch oder dem Leben abgewandt war, sondern weil er fand, dass sich die Welt besser durch Taten erklären ließ als durch Worte.
    Und weil er die Stille schätzte.
    Seine Jugend hatte er als Novize in einem Kloster verbracht. Dort hatten ihn die Mönche gelehrt, diesem, seinem Leben keine allzu große Bedeutung beizumessen, da es sich nur um eines in einer endlosen Kette von vielen handle. Die Gerech tigkeit, das Glück, das einem Menschen in dieser Existenz nicht vergönnt sein mag, würde ihm, wenn er es verdiente, im nächsten Leben zuteil. Oder im übernächsten. So genau kam es nicht darauf an.
    Außerdem hatten sie ihm beigebracht, freundlich und hilfsbereit zu anderen Menschen zu sein. Nicht weil man es ihnen schuldete. Weil man es sich selber schuldete.
    Das waren zwei der Maximen, nach denen er versuchte, sein Leben zu meistern. Alles andere würde sich daraus ergeben.
    Oder es war nicht wichtig.
    Maung Sein überlegte angestrengt, ob es etwas gab, das er der jungen Frau neben ihm erzählen wollte.
    Über seine Arbeit als Holzfäller? Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie das interessieren würde. Über seinen Onkel, der gerade mit der dreißig Jahre jüngeren Tochter des Nachbarn ein Kind gezeugt hatte? Nein, vermutlich wäre das in diesem Moment ein mehr als unpassendes Gesprächsthema.
    Von sich? Seiner Familie zu Hause, in der der Tod ein häufiger Gast war? Ein stiller Besucher, dem man keine Fragen stellte, der sich nahm, wen er wollte. Seinem jüngsten Bruder war er in Verkleidung einer Schlange begegnet. Arglos wollte er einen Stock aus dem Unterholz ziehen. Was verstehen Vierjährige von der Kunst der natürlichen Täuschung, den Geheimnissen der Mimikry?
    Seinen ältesten Bruder hatte der Tod aus dem Wipfel eines Eukalyptusbaums geschubst. Einen achtjährigen Jungen, der wissen wollte, wie die Welt von oben aussah.
    Nur Flügel hätten ihn retten können.
    Nein, lieber würde er über das Glück sprechen. Auch wenn das kein ähnlich verlässlicher Besucher war wie der Tod, sondern nur ein flüchtiger, war es ihm nicht unbekannt. Es begegnete ihm regelmäßig, wenn er achtgab und genau hinschaute.
    Heute war es in Form einer Tomate, die ihm direkt vor die Füße rollte und deren Spur er bis zu einem ausgekippten Korb zurückverfolgte, zu ihm gekommen.
    Er hätte auch achtlos weitergehen können. Man durfte sich von den vielerlei Tarnungen des Glücks nicht täuschen lassen.
    Je länger er nachdachte, desto deutlicher spürte er, dass er gar nichts sagen wollte. Es genügte ihm, einfach hier zu sitzen. In ihrer Nähe zu sein. Ihr hin und wieder einen Blick zuwerfen zu dürfen und eine Erwiderung zu bekommen.
    Nu Nu genoss sein Schweigen, auch wenn es ihr Mühe bereitete, ihre Neugierde zu zügeln. Sie war überzeugt, dass sie alles Wichtige erfahren würde, wenn es an der Zeit war.
    Sie sah in den flüchtigen Momenten, in denen sich ihre Blicke trafen, dass ihm Tränen um einen toten Schmetterling nicht fremd waren; er würde darauf achten, dass immer ein Scheit Holz im Feuer lag.
    Als der Markt zu Ende war, packte Nu Nu das restliche Gemüse in einen Korb. Er war schwer, und sie bat Maung Sein, ihn ihr auf den Kopf zu stellen.

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