Herzenstimmen
dem Feuer standen Schüsseln, Blechteller, Tassen, darunter zwei verrußte und verbeulte Töpfe. Das Besteck und zwei Kochlöffel steckten in der Wand aus geflochtenen Palmenblättern. Neben dem Regal lagen ihre wenigen Vorräte: ein halb voller Sack Reis, Tomaten, Ingwer, Auberginen und ein Glas Fischsauce.
Über der Tür hatte Nu Nu eine alte Uhr angebracht, deren Zeiger vor langer Zeit auf sechs Uhr stehen geblieben waren. Gegenüber an der Wand hing der Altar mit einer hölzernen Buddhastatue. Ihr Mann hatte zwei Bambusstangen zwischen die Holzbalken gesteckt, an denen ihre wenigen Sachen hingen. Für jeden ein Handtuch, ein Longy, ein Hemd, einige T-Shirts und etwas Unterwäsche. Mehr besaßen sie nicht.
Im Hof wuchsen zwei schmächtige Papayabäume, Bananenstauden, Bambus und Palmen, hinter der Hütte war Platz für Tomaten und anderes Gemüse.
Ihr Vater hatte aus Maung Sein, dem Holzfäller, einen zwar nicht sonderlich erfolgreichen, dafür umso willigeren Bauern gemacht. Er war oft als einer der Ersten auf dem Feld gewesen und hatte sich bemüht, seinem Schwiegervater bei der Arbeit zu helfen, um von ihm zu lernen. Mit bescheidenem Erfolg. Sein Gemüse wollte nicht recht gedeihen, der Kohl blieb klein und die Tomaten ohne rechten Geschmack. Auch die Erträge des Reisfeldes lagen weit unter dem, was die Nachbarn erwirtschafteten.
An manchen Tagen war der Hunger so groß, dass Maung Sein zweifelte, ob er je eine Familie würde ernähren können. Er erwog, wieder als Holzfäller zu arbeiten, doch von den großen Teakbäumen gab es in ihrer Gegend nur noch wenige; er hätte in weiter entfernte Provinzen reisen müssen und wäre im Jahr viele Monate unterwegs gewesen. Das wollten weder er noch Nu Nu. Jede Stunde, die sie ohne einander verbrachten, war eine vergeudete.
Das Leben voller Entbehrungen machte ihnen nichts aus, ein anderes kannten sie nicht.
Dafür hatten sie miteinander etwas ganz anderes entdeckt: ihre Körper.
Aus den ersten, schamhaften Berührungen war ein kaum zu stillendes Verlangen geworden.
Die Lust hatte Nu Nus grundlose Trauer vertrieben. In den ersten Monaten hatte es noch Tage gegeben, an denen sie sich heranschlich und Nu Nu nach Kräften versuchte, sich dagegen zu wehren und sie vor ihrem Mann zu verbergen. Aber Maung Sein besaß ein untrügliches Gefühl für die Stimmungen seiner Frau. Ein Blick in ihre Augen genügte. Wenn er sah, wie viel Kraft sie allein das Aufstehen am Morgen kostete, wie viel Mühe ihr das Zubereiten des Essens machte, ein Gespräch mit den Nachbarn, ein einfacher Gang auf den Markt, verdoppelte er seine Fürsorge, ohne sie mit Fragen zu bedrängen oder zu schelten. Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, dass ein Mensch hin und wieder an großer Traurigkeit leidet, die ihn müde und mutlos macht.
Jetzt konnte sie sich nicht einmal mehr erinnern, wann sie sich das letzte Mal schwermütig gefühlt hatte.
Ein gelassener Geist und ein gequälter, der allmählich zur Ruhe kam.
Seit Nu Nu ihren Mann getroffen hatte, glaubte sie fest, dass es Menschen gab, die zueinander gehörten.
Wesensverwandt. Seelenverwandt.
Später, viel später, fragte sie sich manchmal, ob sie in den ersten zwei Jahren, in denen sie und Maung Sein zusammenlebten, einen Großteil ihres Glücks aufgebraucht hatten. War das möglich? Gab es so etwas wie einen Vorrat an günstigen Fügungen? Kam ein Mensch mit seinem Quantum Glück zur Welt, das er in seinem Leben verbrauchte, der eine früher, der andere später? Hätten sie besser achtgeben sollen auf sich und ihre Zweisamkeit? Aber wie behütet und beschützt ein Mensch sein Glück? Oder war alles, was geschah, nur Willkür und Zufall? Waren wir ein Spielball von Gewalten, die keinen Gesetzen und keinen Regeln folgten, die mit uns machten, was sie wollten, so wie ein tosender Fluss mit einem Stöckchen spielt, bis er es in seinen Fluten zermalmt?
In dem Fall würde nichts im Leben Sinn machen oder von Bedeutung sein, doch ein Blick auf ihren schlafenden Mann und später in die Augen ihres Sohnes Ko Gyi genügte, um zu spüren, dass es so nicht sein konnte. Ein Zeichen der Liebe, eine Geste des Mitgefühls, ein Akt der Hilfsbereitschaft, ganz gleich wie groß oder klein, reichte, und Nu Nu wusste, dass ihre Zweifel unberechtigt waren, dass es eine Kraft gab, die allem und jedem seinen besonderen Wert verlieh.
Nichts war vergeblich. Nichts war umsonst.
Davon hatte Maung Sein und seine Liebe sie im tiefsten Inneren ihrer Seele
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