Herzenstimmen
auf dem Rücken des Tieres und lenkte es mit einer Rute, als hätte er nie etwas anderes getan.
Als sie ihn und das ganze Gemüse sah, dachte Nu Nu an die Worte ihres verstorbenen Mannes. Er hatte recht behalten. Er hatte es ihr gesagt, und sie hatte ihm nicht glauben wollen: Wir haben die Kraft, uns zu ändern. Wir sind nicht dazu verurteilt, zu bleiben, wer wir sind. Dabei kann uns niemand helfen, nur wir selbst.
Das Schicksal hatte allen dreien eine Frage gestellt: Das bestellte Feld und die reiche Ernte waren ihre Antwort.
Die üppigen Erträge halfen ihnen über die Trockenzeit. In den heißen Monaten, wenn es auf dem Feld nichts zu tun gab, saßen sie im Hof und flochten Dächer, Wände, Körbe und Taschen. Das Geld reichte, um ihr eigenes Dach zu erneuern und ein paar morsche Balken auszutauschen.
Auch im zweiten Jahr mussten sie nicht hungern. Was die Natur ihnen an Regen vorenthielt, machten sie mit Fleiß und Geschick wett.
Im dritten Jahr trauten sie sich, Reis zu pflanzen, und Nu Nu entdeckte, dass Thar Thar nicht nur die kräftige Statur seines Vaters, sondern auch das bäuerliche Talent seines Großonkels geerbt hatte. Während die Nachbarn über eine schlechte Ernte klagten, war ihr Feld ertragreicher denn je.
Was sich nicht änderte, war sein Bedürfnis nach Einsamkeit. Nach wie vor gab es Tage, an denen er sich von ihnen zurückzog. Dann arbeitete er allein auf einem Teil des Feldes, sprach kein Wort und ignorierte Mutter und Bruder. Oder er saß auf einer Böschung und spielte mit seinem Katapult. Sie hatte noch nie jemanden so geschickt damit umgehen sehen. Er schoss Mangos von den Bäumen, durchlöcherte zielgenau Blätter, vertrieb die Vögel vom Feld, ohne je einen zu verletzen.
Diese Stimmungen vergingen so plötzlich, wie sie gekommen waren, und nach einigen Stunden wendete er sich ihnen wieder zu, als wäre nichts gewesen. Eine seltsame Mischung, das Naturell ihres Sohnes, dachte Nu Nu oft. Er konnte schweigsam, ausgeglichen und fürsorglich sein wie Maung Sein oder sprunghaft und schwermütig, wie sie es selbst früher gewesen war.
Auch im vierten Jahr steigerten sie ihre Erträge, und Nu Nu sann darüber nach, ob sie sich möglicherweise geirrt hatte. Vielleicht kamen wir doch nicht mit einem bestimmten Quantum Glück zur Welt, das irgendwann aufgebraucht war. Vielleicht gab es eine Macht, die unseren Vorrat an günstigen Fügungen auffüllte.
Dennoch verging nach wie vor kein Tag, an dem sie ihren Mann nicht vermisste, besonders nachts, wenn sie wach lag und die Kinder schliefen. Dann hörte sie seinen Atem, spürte ihn auf ihrer Haut. Drehte sich zu ihm und legte einen Arm um seine Brust. Die Leere, die sie dann fühlte, tat ihr im ganzen Körper weh.
Das Loch, das sein Tod in ihr Leben gerissen hatte, war nicht geschlossen, würde es nie sein, aber es schien, als würde die Zeit es langsam überwuchern.
Nu Nu wollte nicht undankbar sein. Sie waren in den vergangenen Jahren von Krankheiten verschont geblieben. Sie hungerten nicht, im Gegenteil, jedes Jahr blieb genug Geld übrig, um etwas am Haus zu machen. Ein neues Dach. Neue Wände. Ein zementiertes Klo in einer entfernten Ecke des Hofs. Im nächsten Jahr wollten sie sich vielleicht sogar einen Wasserbüffel kaufen. Oder ein Schwein. Sie war stolz auf ihre Söhne. Beide waren fleißig, bescheiden und folgsam.
So, dachte sie, sieht also das Glück aus, wenn es nicht die Augen und den Mund ihres Mannes hat. Wenn es nicht nach ihm riecht. So sieht das Glück aus, wenn es auf eigenen Beinen steht.
17
E s gibt Augenblicke, wusste Nu Nu, die vergisst ein Mensch sein Leben lang nicht mehr. Sie brennen sich in die Seele ein, sie hinterlassen unsichtbare Narben auf einer unsichtbaren Haut. Und wenn man sie später einmal berührt, erzittert der Körper von einem Schmerz, der bis in alle Poren dringt. Auch Jahre später noch. Jahrzehnte. Dann ist alles wieder da: der Geruch der Angst. Ihr Geschmack. Ihr Klang.
Der Augenblick, in dem Nu Nu die Motoren hörte, war ein solcher Moment.
Ein später Nachmittag. Ein leichter Nieselregen kam über die Hügel gezogen und würde bald das Dorf erreichen. Die Luft war warm und feucht. Es hatte viel geregnet in den vergangenen Tagen, der Weg war matschig, bei jedem Schritt quoll Schlamm zwischen ihren nackten Zehenspitzen hervor. Ihre Füße und Knie schmerzten vom langen Tag auf dem Feld. Sie war mit ihren Söhnen, einigen anderen Frauen und deren Kindern auf dem Weg zurück ins Dorf.
Wie
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