Herzenstimmen
das Gebrüll eines sich nähernden Raubtieres hallten die Motoren durch das Tal, in dem es sonst keine Maschinen gab.
Die Frauen und Kinder blieben stehen und rührten sich nicht. Als gehorchten sie alle zur selben Zeit demselben Befehl. Jeder wusste, was diese Geräusche bedeuteten. Sie sah es in ihren Augen. Sie sah es an den verzerrten Gesichtern und erstarrten Körpern.
Sie blickte in die Richtung, aus der das Dröhnen kam. In der Ferne erkannte sie zwei Lastwagen und zwei Jeeps, die sich ihnen näherten. Schnell. Viel zu schnell.
Es hatte Gerüchte gegeben, dass sie kommen würden. Der alte U Thant hatte wieder und wieder davor gewarnt, doch im Dorf schenkten ihm nur wenige Beachtung. Er prophezeite auch regelmäßig den Untergang der Welt, ohne dass je etwas geschah. Nun sollte er recht behalten. Das Ende der Welt näherte sich. Es kam in grünen Uniformen und schwarzen, blank polierten Stiefeln. Es kam in Autos, die so groß waren, dass sie das halbe Dorf abtransportieren könnten.
Und es kam zügig.
Nu Nu schaute sich noch einmal um. Für eine Flucht war es zu spät. Wohin sollten sie laufen, wo sich verstecken? Die nächste Siedlung war mehrere Kilometer entfernt, und auch da wären sie nicht sicher gewesen. Es gab keinen Dschungel, dessen Dickicht Leben retten könnte. Wer es trotzdem versuchte und gefangen wurde, überlebte seine Festnahme oft nicht, so erzählte man es auf den Märkten.
Keine der Frauen rührte sich. Die kleinsten der Kinder suchten Schutz hinter den Beinen ihrer Mütter.
Nu Nus Söhne standen einige Meter neben ihr und schauten sie an.
Auch diese Blicke würde sie nie vergessen.
Sie ahnten, was kommen würde. Dass die Soldaten sie mitnehmen würden. Dass es eine Rückkehr nur für die wenigsten gab. Dass ihre Mütter sie nicht schützen konnten.
Das Ende der Welt war nun keine hundert Meter mehr entfernt und kam immer näher. Auf einem der Lastwagen standen Soldaten mit Maschinengewehren bewaffnet, ihre Blicke waren ausdruckslos und leer. Sie waren zu jung, um ihren Opfern in die Augen zu schauen. Hinter ihnen lagen mehrere Rollen Stacheldraht.
Im ersten Jeep saß ein Offizier, sie erkannte es an seiner Uni form. Ihre Blicke trafen sich, und Nu Nu wusste, er war ihre Chance.
Ihre einzige.
Die kleine Kolonne rollte an ihnen vorbei und hielt auf dem Platz in der Mitte des Dorfes. Die Soldaten sprangen von den Ladeflächen, einige postierten sich an den Zugängen des Platzes, die anderen liefen durch das Dorf und forderten alle Bewohner auf, sich so schnell wie möglich vor den Lastwagen zu versammeln.
Eine halbe Stunde später waren alle da.
Der Offizier kletterte auf einen der Wagen. Er war ein kräftiger, großgewachsener Burmese, der die Dorfbewohner um mindestens eine Kopfeslänge überragte. Er nahm ein Mega phon zur Hand und verkündete, was jeder längst ahnte: dass alle nicht verheirateten jungen Männer des Ortes zwischen vierzehn und zweiundzwanzig Jahren in einer Stunde vor den Häusern ihrer Familien auf die Soldaten zu warten hätten. Dass seine Männer sie einsammeln und in ein improvisiertes Lager am Ausgang des Dorfes bringen würden. Anschließend hätten sie den Befehl, jeden Hof gründlich zu durchsuchen. Sollten sie dabei noch einen Jungen finden, würde der sofort erschossen werden. Auch bei einem Fluchtversuch gäbe es keine Gnade. Morgen in der Früh würden sie sich auf den Weg in die Kaserne in die Bezirkshauptstadt machen. Es wäre jetzt an der Zeit, dass die jungen Männer ihrer Pflicht nachkämen und der burmesischen Union dienten. Sie stünde unter ständiger Bedrohung ihrer Feinde, und zu ihrer Verteidigung müsse jeder Opfer bringen.
Sie wusste, was er meinte. Jeder wusste, was er meinte. Die Armee brauchte nicht nur Soldaten, die rekrutierte sie zumeist in größeren Orten und mit dem Versprechen auf einen Sold, der Familien ernährte. Sie brauchte vor allem Träger. Junge Männer, die den Proviant und die schwere Ausrüstung, die Munition, die Granatwerfer der Regimenter über die Berge und durch den Dschungel in den Rebellengebieten schleppten. Auf den Märkten gab es immer wieder Gerüchte, wie gefährlich diese Arbeit sei. Die Gebiete seien von Malaria verseucht, die Behandlung durch die Soldaten sei schlecht, wer erkranke oder sich verletze, werde nicht versorgt, sondern zum Sterben zurückgelassen. Auch sollen einige der Träger auf Minen getreten und von ihnen zerrissen worden sein.
Fragen, ob das stimmte, konnten sie niemanden. Von
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