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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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Soldat zum Klohaus. Mit einer Taschenlampe hatte er in die Jauchegrube geleuchtet und meinte, einen Gewehrlauf entdeckt zu haben. Wir bekamen den Befehl, das Häuschen aus Stroh niederzureißen, nach wenigen Minuten lag der Blick in die Grube frei.
    Es hätte auch ein Stock sein können. Zwei Träger mussten hinabsteigen, sie standen bis zur Brust in der Scheiße, wühlten darin und hielten Sekunden später ein Gewehr hoch. Und noch eins. Und noch eins.
    Dann fielen die ersten Schüsse. Ein Offizier stürzte vornüber in die Jauche, zwei Soldaten neben ihm brachen getroffen zusammen. Die anderen erwiderten das Feuer, ohne zu wissen, aus welcher Richtung sie beschossen wurden. Ich hörte laute Schreie, Gewehrsalven, jeder versuchte, sich irgendwo in Deckung zu bringen. Ich warf mich auf den Boden, wälzte mich zur Seite und robbte rasend schnell hinter einen Holzhaufen unter dem Haus. Dort kauerten bereits andere Träger, darunter auch Ko Bo Bo und Thar Thar. Einen Soldaten, der bei uns Schutz suchen wollte, traf eine Kugel in den Rücken, er blieb keine zwei Meter vor mir bewusstlos liegen, ich sah, wie sich die Erde unter ihm dunkel verfärbte. Über uns hörten wir einen dumpfen Aufprall, kurz darauf rieselte zunächst Asche auf uns nieder, Sekunden später tropfte Blut durch den Bambusboden. Dann stand die Hütte über uns in Flammen.
    Thar Thar nahm Ko Bo Bo an die Hand und rannte Richtung Hecke, ich folgte ihnen. Wir stolperten über einen Toten, stürzten, krochen auf allen vieren weiter. Thar Thar warf sich mit seinem ganzen Gewicht in die Hecke und bahnte uns einen Weg in den Nachbarhof. Auch dort lagen Tote, und die Hütte brannte lichterloh. Überall wurde geschossen. Die Soldaten waren wie von Sinnen. Auf der Suche nach den Rebellen zogen sie von Hütte zu Hütte und schossen auf alles, was sich bewegte. Hühner, Katzen, Hunde, Menschen.
    Wir krochen an der brennenden Hütte vorbei in den ersten Hof und versteckten uns hinter einem Strohhaufen. Vor uns lag der alte Mann mit mehreren Löchern im Rücken, unter ihm zwei tote Kinder. An einer Palme lehnte blutend eine der jungen Frauen, Mund und Augen weit aufgerissen. In ihren Armen zappelte ihr Baby. Ohne zu zögern verließ Ko Bo Bo seine Deckung und robbte zu ihr hin. Thar Thar versuchte, ihn aufzuhalten, doch er war zu flink. Er nahm der toten Mutter ihr Kind aus den Armen und kam zu uns zurück.
    Das Baby schrie mit heiserer Stimme, wurde dann aber leiser und schließlich still. Wir blieben in unserem Versteck und hörten Kinder, die nach ihren Müttern riefen, lautes Weinen, Hilfeschreie, eine Detonation, der mehrere folgten. Ich überlegte, ob es eine Chance gab zu fliehen, doch die Siedlung war zu abgelegen, die Armee würde uns finden, bevor wir einen Ort erreicht hätten.
    Irgendwann lag eine Stille über dem Dorf, die noch fürchterlicher war als die Schüsse zuvor.
    Die Rebellen waren tot oder geflüchtet. Wir sahen Soldaten nach den Trägern suchen und krochen aus unserem Versteck. Thar Thar wollte Ko Bo Bo das Kind abnehmen, doch der hielt es so fest, als wäre es sein eigenes.
    Wir versammelten uns vor dem ersten Hof, die überlebenden Träger und Soldaten und einige Bewohner des Dorfes. Ein Soldat entdeckte das Baby und befahl Ko Bo Bo, es sofort auf die Erde zu legen. Er reagierte nicht.
    Der Soldat lud eine Pistole durch und schrie, er würde es auf der Stelle erschießen, wenn er es nicht sofort weglegen würde. Ko Bo Bo zeigte noch immer keine Reaktion. Nicht aus Ungehorsam, ich sah in seinem Blick, dass er nicht anders konnte. Der Soldat hob die Waffe und zielte. Thar Thar redete ruhig auf Ko Bo Bo ein, bis sich dessen Griff lockerte, nahm ihm vorsichtig das Baby ab, ging ganz langsam auf eine junge Frau zu und drückte es ihr an die Brust.
    Seit diesem Einsatz waren die beiden unzertrennlich. Vielleicht hat Thar Thar in ihm einen kleinen Bruder gesehen, um den er sich kümmern musste. Oder einfach jemanden, der seinen Schutz brauchte. Ich weiß nicht, was es war, aber die beiden waren ständig zusammen. Sie wuschen gemeinsam Wäsche am Fluss, kochten, reinigten Waffen, verscharrten die Toten aus dem Sterbehaus. Irgendwie gelang es ihnen immer, in dieselbe Grup pe eingeteilt zu werden. Sie schliefen nebeneinander, und ihr Flüstern begleitete mich oft in den Schlaf. Thar Thar, der Schweigsame, hatte plötzlich wieder zu reden begonnen. Seine üblen Launen verschwanden, ebenso die Aggressionen. Er hatte uns Trägern verziehen, was wir

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