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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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zu, die Haut platzte an einer zweiten Stelle, das Blut spritzte und strömte den Rücken hinunter. Der Träger brüllte vor Schmerz. Nach dem zehnten Hieb war sein Rücken vom Nacken bis zur Hüfte eine offene Wunde. Ich war an der Reihe. Meine Hände umklammerten das Rohr, ich konzentrierte mich, holte in weitem Bogen aus und haute so heftig ich konnte, mein Opfer wimmerte laut. Erleichtert reichte ich den Bambus an Thar Thar weiter. Der nahm den Stock, trat nahe an den Jungen heran, holte ebenso weit aus wie ich, ließ den Knüppel hinabsausen, hielt im letzten Moment inne, warf dem Oberst einen kalten Blick zu und strich dem Jungen mit dem Holz leicht über den Hinterkopf.
    Keiner von uns rührte sich. Auch die Soldaten nicht.
    Der Offizier zog seine Pistole, ging auf Thar Thar zu und presste sie ihm mit Wucht ins Gesicht, den Finger am Abzug. Ich sah, wie sein Körper vor Wut bebte, und wundere mich noch heute, dass er nicht abdrückte.
    Thar Thar wich keinen Schritt zurück. Die beiden starrten sich an, und der Oberst muss irgendetwas in seinem Blick gesehen haben, das ihn davon abhielt zu schießen. Mehrere Soldaten rannten herbei, fesselten Thar Thar, warfen ihn auf den Boden, gaben uns noch einige Bambusrohre und befahlen uns, auf ihn einzuprügeln. Da sie wussten, dass wir Freunde waren, hatten sie ein Auge auf mich, und ich schlug mit all meiner Kraft auf ihn ein.
    Als wir nicht mehr konnten – er hatte das Bewusstsein verloren, und die Haut hing in Fetzen von seinem Rücken –, machten sie weiter. Nachdem sie fertig waren, schleppten ihn vier von uns ins Sterbehaus.
    Am nächsten Tag schlich ich, trotz des Verbots, zu ihm. Es tat mir leid, was ich getan hatte, ich schämte mich, auch wenn ich wusste, dass ich mich beim nächsten Mal nicht anders verhalten würde. Ich war kein Held. Würde nie einer sein. Ich wollte nur nicht sterben.
    Thar Thar dämmerte mit einem Dutzend anderer Träger auf Bastmatten vor sich hin. Einige hatten schwere Malaria, andere Schussverletzungen, Entzündungen oder so starken Durchfall, dass sie daran sterben würden. Es stank nach Eiter, Urin und Scheiße. Das Wimmern in der Hütte war kaum zu ertragen. Thar Thar lag zusammengekrümmt in einer Ecke. Auf seinen offenen Wunden hockten Dutzende von Fliegen. Er erkannte mich und flüsterte, er verdurste, ob ich etwas Wasser für ihn hätte. Ich versprach, welches zu holen. Auf dem Weg zurück zum Sterbehaus hielten mich Soldaten auf, fragten, für wen der Becher war. Sie tranken ihn in einem Zug aus und warfen ihn mir vor die Füße. Ich hob ihn auf und kehrte wortlos um.
    Gegen Abend sah ich, wie sie sechs Tote aus dem Sterbehaus trugen und in einer Grube verscharrten.
    Von da an machte ich einen weiten Bogen um diesen Teil des Lagers.
    Zehn Tage später stand Thar Thar wieder in der Tür unserer Hütte. Gebeugt. Hager, wie ein ausgemergelter Ochse.
    Aber er lebte. Er hatte das Sterbehaus nicht als Toter verlassen.
    Wir pflegten ihn so gut es ging, teilten unser Essen mit ihm, unser Wasser, wuschen ihn, verscheuchten Fliegen und Mücken, die ihn quälten. Es ging ihm allmählich besser, und nach einigen Wochen war er wieder einsatzfähig.
    Doch er war kaum wiederzuerkennen. Er war aggressiv und unberechenbar, mit uns sprach er kaum noch ein Wort, er hatte uns nicht verziehen.
    Auf unseren Einsätzen marschierte Thar Thar immer vorne weg. Freiwillig! Er schlich nicht, er stampfte so fest auf, als wollte er sichergehen, dass eine Mine, auf die er trat, auch explodieren würde. Er lief, einen Sack Reis auf der Schulter, mit schnellen Schritten, die Soldaten mussten ihm befehlen, langsamer zu gehen, weil weder sie noch wir hinterherkamen.
    Am meisten fürchteten wir die von Pflanzen überwucherten Wege, auf denen das Gestrüpp so dicht und der Boden voller Laub war. Auch auf diesen Pfaden ging Thar Thar freiwillig voran. Die Soldaten gaben ihm eine Machete, und er machte uns den Weg frei. Wie von Sinnen schlug er um sich, zerfetzte mit der langen, scharfen Klinge alles, was ihm den Weg versperrte. Einer Kobra, die sich vor ihm aufrichtete, haute er den Kopf ab. Eine zweite teilte er mit einem Hieb mittendurch.
    Wir waren alle froh, dass er uns diese lebensgefährliche Arbeit abnahm, die Soldaten ließen ihn vorausgehen so weit er wollte, er war ihnen schon lange nicht mehr geheuer. Oft war er so weit voraus, dass wir sein Schnaufen und das Zersplittern des Holzes nur noch schwach vernahmen. Thar Thar hätte auf diesen Märschen

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