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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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lagen verwundet auf dem Weg, ein Fünfter war tot. Zwei Offiziere berieten kurz, was zu tun war, dann ordneten sie an, die Verletzten zurückzulassen. Sie wären nichts als unnützer Ballast.
    Die Verletzten bettelten, wir sollten sie mitnehmen. Einer richtete sich auf, um zu beweisen, dass er alleine gehen konnte, dass er keine Last war. Er humpelte zwei Schritte, dann brach er direkt vor mir bewusstlos zusammen. Aus einer klaffenden Wunde im Bauch floss Blut und versickerte in der Erde.
    Ein Oberst brüllte, wir sollten ihn ignorieren und ganz schnell weitergehen, bevor wir wieder unter Beschuss gerieten. Nach fünfzig Metern drehte ich mich noch einmal um und sah, wie zwei der Verletzten versuchten, uns auf allen vie ren hinterherzukriechen. Als sie anfingen zu rufen und zu schreien, wir sollten warten, wir dürften sie nicht alleinlassen, eröffnete der Oberst das Feuer. Nach vier Schüssen lag eine fürchterliche Ruhe über den Reisfeldern.
    Ich musste nun den Reissack von einem der toten Träger schleppen, und es dauerte nicht lange, bis mich die Kräfte verließen. Mehrmals gaben meine Beine nach, bis ich irgendwann einfach umfiel.
    Ich lag auf der Erde, den süßlichen Geschmack von Blut im Mund, hörte mein Herz klopfen, Insekten umschwirrten meinen Kopf. Ich war am Ende.
    Weiter, steh auf, befahlen die Soldaten, doch ich konnte nicht mehr. Einer drehte mich mit dem Fuß auf den Rücken, hielt mir seinen Gewehrlauf ins Gesicht und drohte abzudrücken. Ich stammelte etwas und schloss die Augen. Plötzlich flüsterte Thar Thar mir ins Ohr, ich dürfe jetzt nicht aufgeben, es sei nicht mehr weit, eine Stunde noch, höchstens, das hätte ihm der Oberst gesagt, und er, Thar Thar, würde einen meiner beiden Säcke nehmen. Er griff nach meiner Hand und zog mich hoch.
    Ich weiß nicht mehr, wie ich es zu dem Außenposten geschafft habe.
    Wir hatten geglaubt, dort in Sicherheit zu sein. Was für ein Irrtum. Er war in den vergangenen Tagen zweimal von Rebellen angegriffen worden, die Soldaten dort rechneten jede Stunde mit einer neuen Attacke. Sie waren kaum älter als wir, aber brutaler als alle, denen ich vorher begegnet war. Einen von uns schlugen sie halb tot, weil ihm eine Schüssel Reis um gefallen war. Ein anderer musste am nächsten Morgen auf einem Bein in der Sonne stehen, bis er das Bewusstsein verlor, und sie schlossen Wetten ab, wie lange er es aushalten würde.
    Auf dem Rückweg verloren wir einen Träger durch eine Mine. Er war der jüngste von uns und hatte erst kurz zuvor Thar Thar als Vorhut abgelöst. Ich hörte die Explosion und dachte zunächst, es hätte ihn getroffen. Die Soldaten brachten sich im Dickicht in Deckung, wir Träger warfen uns auf den Boden, als keine Schüsse oder Explosionen folgten, blickte ich auf und sah, wie Thar Thar an den Verletzten heranrobbte. Der Junge hatte einen Fuß verloren und verblutete wenige Minuten später in seinen Armen.
    Dieser erste Einsatz veränderte jeden von uns. Ich glaube, dass wir bis dahin alle noch gehofft hatten, irgendwie lebend aus dieser Hölle zu entkommen. Jetzt hatten wir begriffen, dass es kein Entrinnen gab. Wir waren dem Tod geweiht. Entweder würde uns beim nächsten Marsch eine Mine zerfetzen, eine Kugel treffen oder ein Soldat zu Tode prügeln. Es war eine Frage von Wochen, Monaten, vielleicht sogar einem Jahr, je nach den Umständen, dem Glück oder Pech, das einem zuteilwurde. Ein anderes Ende gab es nicht. Das Militär schickte niemanden nach Hause. Nur in den Tod.
    Selbst Thar Thar wirkte verändert.
    Ich hatte das Gefühl, er wollte das Schicksal nun erst recht herausfordern.
    Nach der Rückkehr von unserem nächsten Einsatz erwischten sie einen von uns mit einer Handvoll geklautem Reis. Da er den Reis von unserer Ration gestohlen hatte, sollten wir ihn mit Schlägen bestrafen. Sie fesselten ihm die Hände, zogen ihm sein Hemd aus, ein Oberst machte es uns vor: Er hieb mit einem Bambusrohr so fest auf den Rücken des Jungen, dass er aufschrie und die Haut in einem langen Streifen aufplatzte. Dann waren wir an der Reihe. Wer nicht fest genug zudrosch, der würde sich, warnten sie uns, an die Seite des Diebs stellen müssen und ebenso geprügelt werden.
    Der Erste zögerte zunächst, hob widerstrebend den Bambus, blickte uns Hilfe suchend an, als könnten wir ihm sagen, was er tun sollte. Der Offizier schrie, zwei Soldaten machten Anstalten, ihm den Stock wieder zu nehmen, da schüttelte er ängstlich den Kopf und schlug kräftig

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