Herzenstimmen
getan hatten. Zwischen ihm und Ko Bo Bo entwickelte sich etwas, für das es in der Welt, in der wir lebten, eigentlich keinen Platz gab. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Sie redeten miteinander, während zwischen dem Rest von uns längst Schweigen herrschte. Sie lachten zusammen. Sie waren die einzigen Menschen, die ich in der ganzen Zeit im Lager hin und wieder habe lächeln sehen. Sie halfen einander. Sie achteten aufeinander in einer Welt, in der jeder, der die ersten Wochen überlebte, nur noch an sich selbst dachte. Ich beneidete sie. Sie hatten ein Geheimnis, das sie verband, das sie am Leben hielt. Ich habe leider nie herausgefunden, was es war, dafür waren Thar Thar und ich uns nicht mehr nah genug.
Und es gab eine Macht, die sie beschützte. Ein halbes Jahr verging, und Ko Bo Bo lebte noch immer. Die meisten von uns glaubten, dass es an den Sternen lag. Sie waren ihnen wohlgesinnt.
Die Monate verstrichen, und aus Monaten wurde ein Jahr und ein zweites. Wir waren nur rund ein Dutzend Träger, die so lange überlebten. Vielleicht war es Glück, Instinkt oder Intuition, bei Gefahr das Richtige zu tun. Vielleicht war es auch einfach unser Karma. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es sich um gutes oder schlechtes Karma handelte, wenn man in dieser Hölle so lange aushielt.
Viele von uns fragten sich, was sie in einer vorherigen Existenz getan hatten, um diese Qualen zu verdienen. Sie vermuteten, dass sie selber Soldaten gewesen waren und andere getötet hatten. Oder Trunkenbolde. Mörder. Tierquäler.
Thar Thar und Ko Bo Bo beteiligten sich nie an diesen Spekulationen. Ich weiß gar nicht, ob sie den Lehren des Buddha folgten. Ich habe sie nie davon reden hören. Ich habe sie nie meditieren sehen, und ich erinnere mich auch nicht, dass sie mal eine Opfergabe auf unseren kleinen Altar in der Hütte gelegt hätten.
Der Tag, an dem sich ihr Schicksal wendete, begann mit einer Extraportion Reis. Das war kein gutes Zeichen. Wenn wir etwas mehr zu essen bekamen, hieß das immer, dass ein besonderer Einsatz bevorstand. Ein Oberst kam in unsere Hütte und bestimmte ein Dutzend Träger, Thar Thar und ich waren die ersten beiden, die er wählte. Ko Bo Bo meldete sich freiwillig.
Wir mussten zehn Soldaten begleiten, die einem Gerücht nachgehen sollten, dass die Rebellen eine Brücke über einen nahe gelegenen Fluss gebaut hatten. Sie hatten in den vergangenen Monaten größere Landstriche unseres Bezirks zurücker obert und uns bereits mehrfach für einige Tage vom Nachschub abgeschnitten. Der Kommandant rechnete mit einem Großangriff auf unser Lager. Unter den Militärs wuchs die Nervosität, es gab sogar Pläne, unser Camp aufzugeben. Wir Träger hofften, dass sich die Gerüchte bewahrheiten würden. Eine Eroberung des Lagers durch die Rebellen, sollten wir sie überleben, war unsere einzige Chance, je freizukommen.
Wie so oft gingen Thar Thar und Ko Bo Bo freiwillig gemeinsam voran. Ich lief vielleicht zehn Meter hinter ihnen. Ein gutes Omen, dachte ich, in dieser Formation waren wir bisher immer lebend zurückgekehrt. Der Marsch durch den Wald verlief ruhig, und als wir aus dem Wald traten, lag der Fluss direkt vor uns. Die Regenzeit hatte ihn zu einem mächtigen Strom anschwellen lassen.
Und es gab eine Brücke.
Die Soldaten befahlen Ko Bo Bo nachzuschauen, ob darunter Sprengstoff angebracht war oder ob wir sicher über den Fluss gelangen konnten. Er war der beste Kletterer von uns. Geschickt und flink stieg er einige Meter die Böschung hinunter, hielt auf den Steinen und Holzstücken die Balance, ohne sich festzuhalten. Er war fast unter der Brücke angekommen, da richtete er sich plötzlich auf, riss die Arme in die Höhe, schwankte, verlor das Gleichgewicht und stürzte hintenüber.
Im Rauschen des Flusses hatte ich den Schuss nicht gehört.
Er rollte den steilen Abhang hinab. Die anderen Träger und Soldaten brachten sich in Deckung, ich stand da, unfähig, mich zu bewegen. Thar Thar stieß einen Schrei aus, sprang die Böschung hinunter, überschlug sich, prallte gegen einen Fels, stand wieder, machte Riesensätze über Baumstämme und Steine hinweg, stürzte wieder, rappelte sich auf.
Ko Bo Bo rutschte dem Fluss entgegen. Seltsamerweise fiel jetzt kein zweiter Schuss, als folgten beide Seiten gebannt dem Drama, das sich vor ihren Augen abspielte. Sekunden bevor Thar Thar seinen Freund erreichte, glitt dessen Körper ins Wasser und ging gleich im ersten Strudel unter. Thar Thar
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