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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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wirklich zu erfrischen. Es roch nach Essen, Schweiß und einem stinkenden Deo, mit dem sich ein Chinese in der Reihe vor uns immer wieder einsprühte.
    U Ba hatte es irgendwie geschafft, uns Plätze in der »Upper Class« zu besorgen, wir saßen in zwei breiten Sesseln mit verstellbaren Fußstützen und Rückenlehnen, die trotzdem furcht bar unbequem waren. Ich spürte jede Sprungfeder, wollte mich aber nicht beklagen: Die meisten Passagiere in den hinteren Wagen schliefen auf Holzbänken zwischen Kisten und Kartons voll Obst, Gemüse und Hühnern oder auf dem Boden. Im Vergleich zu dem Pick-up-Truck war dies purer Luxus.
    Ständig kamen Männer und Frauen mit Eimern und Körben durch den Gang gelaufen und wollten uns etwas verkaufen. Gekochte Eier. Erdnüsse, Reiskuchen, Bananen, Mangos, Betelnüsse. Kleine Plastiktütchen, gefüllt mit einer braunen Flüssigkeit. Selbst gedrehte Zigarillos. Zigaretten. Ein Händler hielt mir eine Schüssel mit frittierten Hühnerbeinen unter die Nase, die in einer öligen Sauce schwammen und von Dutzenden von Fliegen umschwirrt wurden. Ich schüttelte angewidert den Kopf.
    Draußen ging langsam die Sonne unter. Der Zug rollte im Schritttempo durch einen Ort. Neben den Gleisen trieben zwei kleine Jungs einen Wasserbüffel vor sich her, hinter ihnen balancierte eine Frau einen Turm aus einem halben Dutzend Tonkrügen auf ihrem Kopf. In einigen Höfen brannten Feuer, nackte Kinder plantschten in einem Tümpel.
    Ich dachte an Maung Tun. Thar Thar ist nicht tot. Er lebt.
    Es hatte einen Moment gedauert, bis ich die Bedeutung der zwei Sätze wirklich verstanden hatte. Nicht für eine Sekunde hatten mein Bruder oder ich diese Möglichkeit zuvor in Erwägung gezogen. Wir waren davon ausgegangen, einem Toten auf der Spur zu sein. Nu Nu hatte ihren Sohn für tot gehalten. Wie auch Khin Khin und Ko Gyi.
    Von den Rebellen hatte Maung Tun nichts über den Verbleib von Thar Thar und Ko Bo Bo erfahren. Sie hätten die beiden in Ruhe gelassen. Der kräftige Mann sei irgendwann aufgestanden, habe den schlaffen Körper, der neben ihm lag, in den Arm genommen und sei flussabwärts gegangen.
    Jahre später dann hat Maung Tun von mehreren Lastwagenfahrern eine Geschichte über einen Mönch gehört, der mit mehreren Kindern und Dutzenden von Hühnern in einem alten Kloster in der Nähe von Hsipaw leben soll. Ein ganz außergewöhnlicher Mann, der sich um die Kinder kümmere, ihm fehle an der rechten Hand ein Finger, unter dem Kinn habe er ein Muttermal, den linken Oberarm zeichne eine große Narbe. Die Folge eines Streifschusses. Angeblich habe er als Soldat Jahre im Dschungel gelebt. Ein unerschrockener Kämpfer soll er gewesen sein.
    Zwei Busfahrer hatten die Geschichte später bestätigt.
    Maung Tun war sich sicher, dass es sich um Thar Thar handelte. U Ba auch. Ich blieb skeptisch.
    Jetzt waren wir auf dem Weg nach Mandalay, wollten dort übernachten und morgen weiter nach Hsipaw fahren.
    Der Zug blieb mit einem Ruck stehen, mein Bruder erwachte. Er schaute sich kurz um, leckte sich die trockenen Lippen, ich gab ihm mein Wasser. Er trank in kleinen Zügen und sprach ein paar Sätze mit seinem Nachbarn auf der anderen Seite des Gangs.
    »In zwei Stunden sind wir in Mandalay«, sagte er, zu mir gewandt. »Hast du Hunger?«
    Ich nickte.
    »Ich auch. Wollen wir etwas essen gehen?«
    »Im Zug?«
    »Es gibt einen Speisewagen.«
    Ich warf einen skeptischen Blick auf die schmutzigen Polster meines Sessels, den klebrigen Fußboden. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«
    »Wir essen nur ein wenig gebratenen Reis und trinken Kaffee, das Wasser ist gekocht. Mach dir keine Sorgen.«
    U Ba stand auf, und ich folgte ihm widerwillig.
    Der Zug wackelte heftig, ich torkelte durch den Gang und stieß mir zweimal den Kopf.
    Im Speisewagen waren noch zwei Plätze frei, mein Bruder steuerte zielstrebig darauf zu und setzte sich. Ich blieb zögernd am Eingang stehen. Am Nebentisch saß eine Gruppe Soldaten beim Essen. Ich sah ihre grünen Uniformen. Ich sah die schwarzen, blank polierten Stiefel. Ihre blutroten Zähne.
    U Ba gab mir mit einem Blick zu verstehen, ich solle mich zu ihm setzen. Ich war unschlüssig. Mein Zögern erregte erste Aufmerksamkeit. Neugierige Augen, verstummende Gespräche.
    Zum Umkehren war es zu spät, ich wollte meinen Bruder nicht allein lassen und ging zu ihm.
    »Sie tun uns nichts«, sagt er halblaut. »Sie verstehen nicht einmal, was wir sagen.«
    Die Soldaten warfen uns

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